Ein drittes Beispiel für den eigentlich sehr privat-menschlichen und dennoch zugleich hochbrisant politischen Charakter der Arbeiten Jamals.
Abgebildet ist ein weiblicher Körper, zunächst anscheinend recht naturalistisch, jedoch beim näheren Betrachten mit bezeichnender Veränderung : den Busen dieser Frau, ihre weichste, zarteste Stelle, "umzäumt" (möchte man sagen) Stacheldraht. Der Körper, teils reliefartig (mit großen Eierschalenfragmenten) geformt, scheint (bei feinzerkleinertem Material) in der Bildfläche zu verschwinden.
Lauter Verbote ! Sogar die Liebe scheint sich zu entfernen, sich von selber zu verbieten. Wo um elementarste öffentliche Freiheit erst noch gekämpft werden muß, wird eine andere elementare Wesenheit: die Intimität der Geschlechter, die Liebe zum Problem.
Dazu noch eine besondere kultur-historische Anmerkung. Die altkurdischen Nomaden frauen hatten früher eine viel fester gestaltete soziale Rechtsstellung im Familien- und Stammesverband als jetzt unter islamisierten Verhältnissen. Die Kurden haben den Ruf, gegenüber ihren Frauen (im Vergleich zu den umliegenden Völkern) traditionell die freieste Einstellung zu praktizieren. Insofern ist auch das Selbstbewußtsein der kurdischen Frauen stärker ausgeprägt als bei
den Nachbarvölkern. (Das fällt besonders einem euro
päischen Beobachter sofort auf.) In der kurdischen un
abhängigen Republik Maha bad (1946-47 auf iranischem Gebiet) erhielten die Frauen zum Beispiel verfassungsmäßig ..mäßig dieselben Rechte wie die Männer.
Dementsprechend hoch ist die individuelle Rolle der
Liebe - und ihr politischer Stellenwert. Inder Wirklich
keit. Und natürlich in der Dichtung: ein Stück solcher
kollektiver und zugleich in dividueller politischer
Lie- beslyrik lautet : "Das Volk verblutet und wir mit ihm. Ihr werdet trotzdem nicht sterben. Ihr werdet ewig leben - Solange die Liebe
lebt."
Liebe und Politik! Jamal ist deutlich gesagt - der Meinung, daß also die heute bestehende Männergesellschaft auch durchbrochen werden müsse, weil sie nicht eigentlich kurdischen Ursprungs sei.
Solche Einflüsse müßten wieder abgebaut werden. (Da mögen seine kurdischen Geschlechtsgenossen noch anderer Meinung sein!) Es gehe, so Jamal, auch um einen i n n e r - kur d i s c h e n Veränderungs- und Lernprozeß. Um das ungezwungene menschliche Miteinander wieder natürlicher zu ermöglichen - auch im erotischen Sinne.
Das Bild zeigt drei Streifen, die vom Betrachter her in ein Zentrum führen. Diese drei Wege tragen die Farben rot/weiß/grün der kurdischen Fahne, und in der Mitte die gelbe Sonne. Die Symbolik ist derjenigen der europäischen Ikonologie vergleichbar: rot = Liebe/ Kampf, weiß = Reinheit und Unschuld, grün = Fruchtbarkeit und Hoffnung.
Allein schon diese Fahne als Bildinhalt bedeutet ein Politikum, ist sie doch nirgends offiziell deklariert - jedenfalls n o c h nicht. Aber sie wirkt bereits jetzt als anerkanntes Identifikations-Zeichen. Beweis : eine soeben in Deutschland neu erscheinende ExilZeitschrift "Kurdistan heute" hat sich diese Fahne, aber bezeichnenderweise in der künstlerischen Variation durch Jamal, zum Logo, zum Titel-Emblem ausgewählt.
Die von Jamal vorgenommene Veränderung nämlich ist ein Abbild der politischen Situation der Kurden: die nationalen Farb Wege sind mehrmals durch Stacheldraht unterbrochen. Das Ziel, ein (nicht zufällig) vulkan-förmiges "Nest" mit einem hoffnungs-grünen Ei darin, ist mit Stacheldraht überspannt: die Hoffnung, der Ursprung des Lebens ist gefangen. Überdies bildet dort der Stacheldraht ein Fadenkreuz : das heimatliche Nest als Ziel der kurdischen Hoffnung ist noch ein anderes Ziel : eins für feindlichen Beschuß !
Schließlich daneben ein Spiegel, in dem der Betrachter beim Anschauen - durch Stacheldraht hindurch ! - sich selbst erblickt : den Kurden geht es, wie j e d e m Menschen, der seine Freiheit n i c h t hat. Und das kann - wie der Lauf der Welt zu Genüge lehrt - einem jeden Menschen recht schnell passieren.
Ein kleines Detail zum Schluß als Beispiel für die wohldurchdachte Ausführung dieser Tafeln. Die Sonne in der Mitte der kurdischen Flagge hat achtzehn Strahlen. Das sind die achtzehn traditionellen Welayet, die historischen Fürstentümer Kurdistans. Das ist anscheinend sogar manchen für ihre politischen Rechte aktiv eintretenden Kurden nicht mehr geläufig. (Man zähle 'mal nach bei gelegentlichem "Fahnenhissen".)
Der Titel nennt zwei Menschen beim Namen, einen Jüngling Mem und ein Mädchen Zin, ein Paar, ein Liebespaar, die kurdischen Romeo und Julia. Ihre Geschichte, im 17. Jahrhundert erzählt von Ahmede Xane, verläuft jedoch etwas anders als in der Novelle der italienischen Renaissance oder im Trauerspiel von Shakespeare. Die kurdischen Protagonisten Mem und Zin müssen ihre Liebe verborgen halten. Dort, wo sie sich treffen - in Gestalt der beiden reinen, weißen Eier - überkreuzen sich die Verspannungen, die als die jeweiligen familiären Bindungen anzusehen sind, zu einem Gewebe von doppelter Dichte. Die beiden Liebenden sitzen hinter Fenstergittern, fast wie in Gefangenschaft. Besonders reizvoll an diesem Bild ist der ins Auge fallende Gegensatz zwischen strenger Linienführung
und expressiver Farbigkeit. Wie Lava nach einem Vulkanausbruch breiten sich die starkfarbigen Flüsse aus. Sie stellen die Naturkräfte dar : in Jamals Symbolik bezeichnet gelb/rot das Feuer und die Liebe, blau/türkis das Wasser und das Leben. Den formalen Gegensatz zwischen gewaltiger Eruption und geradem Lineament könnte Jamal dem "Wasserfall von Mäntykoski" des karelischen Symbolisten Axel Gallen abgeschaut haben. Dort überziehen fünf feine Parallelen als Versinnbildlichung der "großen Harfe der Natur" die schäumende Gischt des herabstürzenden Wasserfalls.
Hier handelt es sich aber um Jamals eigene Erfindung - eine moderne bildliche Version für verstecktgehaltene Liebe. Auch ein allegorisches Bild für die im europäischen Exil lebenden Kurden und ihre im Stillen genährte, unvergängliche Liebe zu ihrer traditionsreichen Heimat und Kultur..
Die Zeitrechnung der Kurden beginnt siebenhundert Jahre vor der unseren, man schreibt also gegenwärtig das Jahr 2693. Damals, zu Beginn der kurdischen Zeit, lebte der Kurdenkönig Dehak. Der litt unter einer merkwürdigen Pein, und zwar entwuchsen ihm aus seiner Brust zwei Schlangen, die seinen Körper zerbissen und fraßen. Ihr Hunger war anders nur durch die Darbringung von täglich zwei Hirnen von Kindern zu stillen. (Also eine TributSage wie um andere Ungeheuer in anderen vorder- und mittelasiatischen Mythologien und besonders in der griechischen auch: Minotauros auf Kreta, die Sphinx vor Theben.)
In kinderarmer Zeit (wieso erst dann?) lehnt das Volk sich auf, der Schmied namens Kawa bringt die königliche Ausgeburt um. Meldefeuer im Palast verkünden die Befreiung - Freudenfeuer in den Bergen, wohin man die Kinder gerettet hatte, antworten. Den Tag des Geschehens (nach unserem Kalender am 21. März) feiert man seitdem als Neujahrsanfang und Nationalfeiertag : Newroz.
Jamal hat die Sage und Geschichte wiederaufgegriffen und sie politisch aktualisiert. Er meint, der Dehak lebe noch - für die Kurden. Und zwar in mancherlei Gestalt : die Militärs in der Türkei, die Mullahs im Iran, der Diktator im Irak - das sind seine heutigen Inkarnationen.
Jamal hat ihn mit dem Kopf der Eule porträtiert : aus bluttriefenden Augen stiert uns der nächtliche Räuber an, die Schlangen entwinden sich wie Kainsmale den Federbüscheln auf der Stirn. Fast überflüssig zu sagen : auch den Kurden ist dieser Vogel unheimlich und gilt als unglückstiftendes und todbringendes Omen.
Fast wie bei einem doppelt belichteten Foto zeigt dieses Bild eine weibliche Brust und ein männliches Gesicht in einem: deren provokante Präsentation und dessen aufdringliches Glotzen.
Die Frage nach einer "Schuld" der verführerischen Frau oder des begehrenden Mannes hält Jamal für unsinnig. Eine Belehrung seiner - besonders der männlichen ! - Landsleute zu einem unverstellten Verhältnis der Geschlechter untereinander. Wie es in vor
islamischer Zeit für die Kurden - im Unterschied zu ihren Nachbarn - charakteristisch war. (Siehe auch das zur Tafel "Verbotene Liebe" Gesagte.)
Das Ei meint hier einen Träumer. Der schwebt im freien Raum zwischen dem (rotgelben) verzehrenden Feuer und dem (blauen) lebensspendenden Wasser. Jedenfalls bewegt er sich außerhalb der Realität mit ihren zweckvoll strukturierten Gesetzen (Schnurbespannung).
Die mineralische Zwischenfarbe des Edelsteins Türkis wechselt zwischen Blau (für Jamal die Farbe der Überzeugung) und Grün (allgemein die Farbe der Hoffnung). In ihrer schillernden Unentschlossenheit drückt sie die bedenkliche Lage des Traumwandlers zwischen den mentalen Zuständen aus.
Gemalt nach der Lektüre des berühmten, vom Dichter selbst illustrierten WeltraumMärchens gleichen Titels aus der Feder des französischen Flughelden Antoine de SaintExupery.
Dieses Bild gibt eine Zustandsbeschreibung. Es ist eine beliebige Straße in Deutschland oder sonstwo in Europa - jedenfalls nicht in Kurdistan. In einem Haus wohnen, wie am Klingelkasten abzulesen, zehn Mietparteien. Und wir erleben das Drama zwischen den Bewohnern mit.
Ganz oben sehen wir den Dr. Wolf : akademisch abgehoben, ist er einsam geblieben. Doch er bekommt alles mit und weiß genau, wer mit wem und wann und wo. Über alle erhaben, ist er selber unglücklich und ohne eigentlichen Lebenssinn.
Da gibt es, Mitte rechts, den alten Mann, der alle in Frieden läßt und selber auch in Frieden gelassen werden möchte. Darüber ein Pärchen in harmonischer Beziehung zueinander. Links zwei "Giftschlangen", die sich aufbäumen und überkreuzen. Unten links ganz still eine junge Frau mit Liebhaber.
Und dann wohnen da noch zwei Ausländer im Haus, ein Türke und ein Kurde, wie's der Zufall will. Der Gastarbeiter D. Atici und der Asylant Reso Servan (trotz seines Namens, der "Kämpfer" bedeutet) versuchen, miteinander zu reden. Beide hierzu
lande Fremde, suchen sie, die Animo- sitäten ihrer Völker überwindend, die Verständigung.
Eine ganz normale Geschichte. Im Exil in Deutschland.
Wie es die zum Bildgegenstand gewählte natürliche Körperlichkeit erfordert : ein Relief ! Die beiden Brustspitzen einer Frau - als Ich und als Wunsch - führen ein Zwiegespräch. Und Jamal?, ein Mann - er hätte nur zu gerne gewußt, was die beiden miteinander bereden.
Warum aber alles in Schwarz? Die Antwort zeigt unvermutet ein Stückchen muslimischer Tradition, eine Erinnerung an die Ebe, die Gewandung der konservativen islamischen Frau. Die schwarze Farbe des Tuches ist hier gemeint als Kennzeichen des Zustandes der Gefangenschaft des körperlichen und geistigen Ich und der Trauer darüber und des aussichtlosen Wunsches nach Emanzipation.
Eine Idee, an die man lange Zeit geglaubt hat, fängt an dahinzuschmelzen. Ein Mythos zerbröckelt. Auf einem roten, rechteckigen Podest steht der Mythos, zum Gott erhoben (ein ausdrücklicher Name wird nicht erwähnt). Drumherum die Anbetenden : sie haben ihre Köpfe geneigt, ja geradezu nach Straußenart in den Sand gesteckt.
Bei zunehmender Entfernung vom Numinosen wagen die Menschen, ihr Haupt zu heben; versuchen sie sich selbst zu orientieren; probieren sie den aufrechten Gang. Mit bemerkenswerter Rückwirkung : der Sockel-Block schmilzt. Ohne das ihm ergebene Volk ist der Mächtige in seiner Existenz gefährdet. Gott gibt es nur, wenn man an ihn glaubt.
Das Ei, das sich die Menschen - nach ihrem Bilde - zum Heiligtum erhoben haben, könnte sich als bloßer Popanz, als Windei erweisen. Aufklärung tut not! Die ist nach Immanuel Kant "der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit".
"Les grands ne sont grands parce que nous sommes ä genoux - levons-nous!", schrieb Louis Prudhomme : Die Großen sind nur groß, weil wir auf den Knien liegen - erheben wir uns !
Bombeneinschlag im Krieg oder Sylvester-Knallerei? Drei Tanzpaare mit lustigen Kappen feiern - ungeachtet dessen, was in der Welt um sie herum geschieht.
Die drei sternförmigen Explosionen kennzeichnen drei Unruheherde bei der Jahreswende 1992/93: Bosnien, Somalia, Kurdistan. Ein Momentan-Ausschnitt aus der gegenwärtigen politischen Lage. Und die Ignoranten tanzen dazu - einen Totentanz!
Ein ruhiges Gemälde der Dualität. Zwei Systeme von Saiten, über Dosen als Resonanzkörper gespannt, erzeugen Klänge. Deren Ausbreitung geschieht einmal wellenförmig zentrifugal (rechts, vom Betrachter aus gesehen), einmal diffus (links). Hier also sehr regelmäßig geordnet, dort nach Zufälligkeiten zerstreut.
Doch die Unterschiedlichkeit der Systeme ist komplementär. Die zwei Klänge ergänzen einander. Ohne die andere Hälfte wäre die eine bloß Torso, Fragment. Wahrscheinlich hat Jamal sich von der zoroastrischen Lehre anleiten lassen, die vom Widerstreit des Guten und des Bösen spricht. Dieses dualistische Prinzip erwähnt er gesprächsweise oft. Auch ohne religiösen Hintergrund, etwa wenn er ein kurdisches Sprichwort zitiert: "Die Berge sind unsere Feinde, aber sie sind auch unsere Freunde." (Gemeint : feindlich als karges, unwirtliches Land; freundlich als Zuflucht in der Not.) Auch seine Landsleute, die noch der jesidischen Religion angehören, erkennen neben dem Regelmäßigen und Schönen das Böse und Unberechenbare als Daseinsprinzip an (weshalb Verständnislose sie als "Teufelsanbeter" mißverstehen und diffamieren).
Auch solche Darstellungen von Zwischenzuständen sind für die Kunst von Jamal typisch. Wir sehen eine Verspannung wie diejenige der längsgespannten Kettfäden auf einem Webstuhl. (Und tatsächlich stammt diese Bildidee von dem Handwebstuhl eines älteren Bruders, der aus Stoffresten Teppiche wob.) Darunter erblicken wir - nicht recht deutlich - eine ovale Abhebung, umgeben von Farbpartikeln in schwer definierbarer Form. Ein unscharfer Traum.
In diesen hinein fährt ein blankes Messer. Noch hat es die Schnüre, die das Traumbild schützen, nicht eingeschnitten. Eine gefährliche Erwartungssituation.
Der Mensch (das Ei) sieht seinen Traum bedroht. Auf dem Messerknauf ist eine dämonische Physiognomie zu erahnen. In den frühlingshaften Wiesenblütenfarben bleibt der Mensch trotz der Bedrohung optimistisch. Das ist Jamal.
Urfa ist eine Stadt im türkisch besetzten Kurdistan. Ihr ursprünglicher Name lautet Reha. Die Stadt ist umgeben von niedrigen, wildgewachsenen Buschwäldern - eine Gegend, die die türkische Regierung bewußt unterentwickelt gelassen hat.
Auch die Menschen dort sind, fern der modernen Zivilisation, einfach, naiv und scheu geblieben.
Zwei junge Mädchen aus Urfa haben von Verwandten aus Deutschland ein Kästchen mit Schminke geschickt bekommen. Die probieren
sie nun, versteckt im Gebüsch, heimlich aus.
Eine kleine, melancholische und doch ein wenig beglückende Erzählung.
Die Geschichte eines europäischen Paares. Die beiden haben sich einmal sehr geliebt und darüber ihre Umwelt vergessen. Sie sind "ausgestiegen", innerlich ausgewandert, in die Toskana oder - sagen wir - auf eine Südsee-Insel entschwunden. Dort hocken sie nun, und ihre Insel, die Trauminsel, wurde ihnen inzwischen zum Gefängnis - dargestellt durch einen Staketenzaun aus langen Nägeln.
Man müßte entfliehen können, aber wie?, über den Zaun? Einer versucht's gerade. Wenn sie keinen Ausweg finden, werden sie spurlos untergehen, rückstandsfrei verschwinden wie in einem Loch (da ist es schon!).
Mitten im blauen, blauen Meer.
Das Bild dokumentiert die Unmöglichkeit des Paradieses auf Erden. Nicht nur der alt testamentliche Schöpfungsbericht, sondern auch andere, orientalische und afrikanische Weltentstehungsmythen kleiden die Idee dieses utopischen Anderswo in das Bild eines Gartens, abgeschlossen wie eine Insel. Auffällig übrigens, daß die biblische Beschreibung des Gartens Eden (Genesis 2, besonders Vers 15) ausdrücklich die mesopotamischen Flüsse Der Wortstamm - avetisch pairi-daeza = Umwallung, eingehegter Park - bezeugt, daß die Paradieses-Idee durchaus auf eine lokalisierbare irdische Konkretion gerichtet war. Erst im Christentum (Lukas-Evangelium 23, Vers 43) wird der Aufenthaltsort der Seligen ins Jenseits verlegt. Jamal aber hatte wohl mehr an eine Insel der Liebenden wie die sagenhafte griechische Aphrodite-Kultstätte Kythera gedacht.
Wenn die Kamele einer Karawane durch die Wüste schreiten, hinterlassen sie Spuren im Sand. Besonders im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris haben viele Karawanen, viele hindurchziehende Völker, viele erobernde Heere ihre Spuren hinterlassen. Und die dort ansässigen Kurden haben alles überstanden - jahrhundertelang und mal hierhin, mal dorthin sich verbündend.
Nur im historischen Augenblick der Bildung von Nationalstaaten in der Region haben sie ihre Chance zwischen den sich formierenden Ländern nicht wahrgenommen und damit verpaßt. Die Kurden, hier dargestellt durch aufrecht stehende Eier in der Trauerfarbe Schwarz - jetzt wurden sie Opfer ihrer instabilen Situation. Zertreten von der Ferse eines Nachbarn, der vormals mit größerer Rücksicht (auf Zehenspitzen, wie man sieht!) durch das kurdische Gebiet gegangen war. - Ein kurdischer Nationalstaat wäre - unbeschadet des ganz andersartigen, fortgeschritteneren Zeitgeschehens in Europa - eben jetzt eine historisch unerläßliche politische Notwendigkeit.
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
Ein weiches, weißes Gewölbe aus Stoff - empfindlich und rein. Auf ihm bewegen sich zwei zarte, heile Eier - ebenso sensibel und verletzlich. Feindlich dreinstoßende Fremdkörper, Projektile in der Form von starken Nägeln wollen die Fläche besetzen, treffen und zerstören eines der Eier, das ihnen schutzlos ausgeliefert ist. Sie stellen für Jamal alle die Eindringlinge dar, die den persönlichen Sicherheitsbereich der anderen mißachten : die Besatzer, die Eroberer, die Ausrotter und Töter - immer Männer...
Eine allgemein menschliche Allegorie. Ob sie auch etwas mit Kurdistan zu tun hat? Die verheerend eindringenden Nägel als die vier Besatzerstaaten Kurdistans?
Eine Erinnerung an die Kindheit auf dem Lande. In der Mitte des zu bearbeitenden Feldes setzt am Morgen der Vater den kleinen Jamal ab. Und beginnt, von zwei Maultieren unterstützt, sein Tagewerk, nämlich den Boden zu pflügen. Und der kleine Jamal spielt derweil mit der Erde, besieht sie, fühlt sie, riecht sie und nimmt auch dann und wann ein wenig davon in den Mund. Und bemerkt dabei, wie um ihn herum zusehends durch die gezogenen Ackerfurchen eine neue Welt entsteht. Und mit ihm mittendrin ! Der kleine Jamal als Mittelpunkt der Welt!
Die gelbe, bräunlich-rötliche Farbe des aufgeworfenen Erdreichs changiert je nach dem einfallenden Licht. Auch die Furchen dieses Bildes muß man natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln her ansehen. - Noch heute entstehen in Jamal beim Betrachten dieser Tafel der Geruch des frisch aufgebrochenen Erdbodens und der Duft der großen, weiten, heilen Welt der Kindheit. Und fraglos selbstverständlich die eigene kleine Person als Zentrum und Zweck und Sinn des Alls.
Ein Herz und seine zwei Seiten : die eine aufnehmend, in sich hineinsaugend; die andere abgebend, hervorspringend. Die formale Analogie mit und die gedankliche Assoziation zu Augen sind beabsichtigt : der Weg zwischen Auge und Herz ist für Jamal nicht weit.
Für Augen und Herz in gleicher Weise gibt es zweierlei Eindrücke : klar strukturierte, wie sie die strenge Fadenbespannung und die geschlossene Reihe der Eier in der einen Bildhälfte zeigen. Und unregelmäßig gebildete, wie sie die diagonalen Saiten ergeben, deren Formation durch die dazwischentretende Marschordnung der Eier erheblich beeinträchtigt wurde.
Gesicht und Gefühl sind für Jamal die zwei Hauptelemente der menschlichen Konstitution. Nicht von ohngefähr arbeitet er in einem Medium, das aufs Sehen angewiesen ist. Und nicht umsonst benutzt er sein bildnerisches Talent weniger zum mimetischen Abbilden von Wirklichkeit als vielmehr zum Visualisieren seiner Gedanken. Das ist im doppelten Sinne Imagination.
C'est vraiment lui.
Ein ähnliches Raster wie im vorigen Bild. Zwei Gruppen stehen sich diagonal gegenüber, die roten sind die heranmarschierenden Invasoren. Mitten im Haus der gegnerischen Population haben sie bereits ihren Spion plaziert.
Irgendwo auf dem weiten Meer treibt ein Floß mit einem Schatz - unter der Fadenbespannung erkennt man vage die Gestalt einer Frau; ein kastenf?rmiges Stück Schwamm enthält (vielleicht!) ein Geheimnis. Auf jeden Fall sollte man versuchen, es an Land zu ziehen. Eine kleine Träumerei.
Eine Friedenstaube : ihr Körper- und Kopfumriß ist als tauben-blaue Fläche auszumachen. Jedoch ihr gelber Schnabel ist nach innen, in den eigenen Leib hinein gerichtet. Ihm entströmt der titelgebende "rote Dunst".
Der verströmende, sich verflüchtigende rote Dunst symbolisiert, nach Jamal, zweierlei : Die Lüge des friedensbeteuernden Kommunismus. Und das Versagen der indoktrinierten europäischen Friedensbewegung. Schuld an der tödlichen Umkehr des Schnabels sind die
fünf reichsten Industrienationen, ihre blockierende Politik erscheint in Form von fünf dicken, großen Eiern. (Die anderen sind ohnehin nur noch als Fragmente, als Reste von Eierschalen existent.)
Wo bleibt die Friedensbewegung jetzt - angesichts der
Massaker in Bosnien zum Beispiel? Euphemistisch umschrieben als "ethnische Säuberung", wie sie sich wohl
auch der irakische Diktator für die Kurden vorstellen
mag. Eine sehr traurige Friedens. taube.
Ganz offensichtlich ein politisches Bild. Und doch - in seiner geschlossenen Form - ohne jegliche Aggression, eher bloß feststellend.
Den Inhalt kann jeder Betrachter selber herauslesen, die zusammengefügten Ingredienzien deuten : den mit Gewehrpatronen gespickten Thronstuhl des Diktators; dessen Umkippen wäre für ihn tödlich; doch die untergelegten Eier - Jamal nennt sie "die Heuchler" - wirken als Stützen des mörderischen Systems. Der Nein-Sager wird gehenkt; die Augen der Öffentlichkeit schauen zu : groß, neugierig, aber letztlich indifferent.
Machtbegierde, Positionsverteidigung, heuchlerische Dienstwilligkeit, Widerstandleisten und Zuschauen ohne eigenes Engagement - all dies sind menschliche Verhaltensweisen, daher hat Jamal sie mit
der Kontur eines Eies umrandet.
randet.
Das Bild konstatiert den Terror der Macht. Aus eigener, leidvoller Erfahrung verwendet Jamal die kurdischen Farben rot/weiß/grün.
Ein sehr friedvolles und poetisches Bild. Jamal hatte sich dabei mehrere passende Szenen gedacht : wenn zwei kleine Kinder schlafen und dann das eine erwacht und das andere noch nicht. Oder wenn Blumen im Garten stehen und die eine aufblüht, aber die zweite noch als Knospe verharrt. Situationen der Latenz.
Das zarte Aufbrechen aus diesem Zustand hat Jamal mit den für sein (Euvre typischen Bildgegenständen dargestellt: eines der beiden Eier hat die flächige, aber durchlässige Bespannung schon durchstoßen. Das zweite bleibt noch unter ihr verborgen, dem - in sinnfälliger Weise aus Eierschalenmaterial geschichteten - Urgrund näher.
Der Untertitel nimmt eine lyrische Passage aus Shakespeares "Romeo und Julia" auf, kehrt aber Julias (Selbst-) Täuschung um. Sehr wohl war es die morgenkündende Lerche, "die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang" !
Erwachen 1992
100 x 60 x 8 cm
"Kurdistan, min Beriya Te Kiriye" - ein Bild der Liebe und der Politik. Der deutsche Titel lautet: "Kurdistan, ich habe Sehnsucht nach dir! "
Eine politische Allegorie und ein persönliches Bekenntnis : rechts unten im Bildfeld findet sich ein StacheldrahtKalendarium mit zwölf Abschnitten. Es sind die Jahre 1980-92 in Jamals Biographie. Zwölf Jahre der Trennung von seinem Land und seiner Familie. Und die gegenwärtige Unmöglichkeit, dorthin zurückzukehren.
In einem großen SpinnenNetz sind die darin gefangenen Opfer durch Eier versinnbildlicht: neugeborene Kinder, im Moment der Namensgebung. Die Eierschalen sind beschriftet, auf der einen Seite mit kurdischen Namen, die durchgestrichen sind; auf der anderen mit türkischen. Man liest also "Bawer", "$ivan", "Delal" und andere u n erlaubte Namen, ersetzt durch erlaubte.
Nichts gegen jene anderen, die türkischen oder arabischen Namen! Aber w o - g e g e n Jamal unbedingt Stellung nehmen will, ist deren zwangsweise Einführung. Und das Verbot der eigensprachigen kurdischen. Gegen die Namensveränderung und gegen die damit einhergehende Identitätsveränderung ! (Ich erinnere daran, daß er selbst ja einen oktroyierten arabischsprachigen Namen trägt.)
Und jetzt kommt überhaupt das Schärfste ! Die NamensDiskriminierung setzt sich in deutschen Standesämtern fort : kurdische Eltern (beispielsweise türkischer Staatsangehörigkeit) dürfen ihren Kindern auch in Deutschland keine kurdischen Namen geben ! Die Standesämter besitzen eine Liste der türkischen Konsulate, in der alle offiziellen türkischen Namen verzeichnet sind. Dort nicht vorkommende Namen werden auf deutschen Standesämtern nicht vergeben!
Ja, bis zum Golfkrieg hin durfte sogar die ethnische Bezeichnung "Kurden" ("Kürtler") nicht in türkischen Medien verwendet werden. Kurdisch als Amtssprache ist seit Kemal Atatürk nicht erlaubt - die Existenz die
ses Volkes in der Türkei wurde jahrzehntelang schlichtweg geleugnet. Und das, obwohl den Kurden im Vertrag von Sevres (1920) eine autonome Region in Aussicht gestellt worden war. Und obwohl im Lausanner Friedensabkommen (von 1923) im § 39 steht : "jedem türkischen Staatsangehörigen wird hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache s e in e r W a h 1 in seinen privaten und geschäftlichen Beziehungen, in Presse, Publikationen und im öffentlichen Leben keinerlei Beschränkung auferlegt. " In Kurdistan sieht die Wirklichkeit anders aus, nicht nur im türkischen Teil.
Und in Deutschland im allgemeinen zur Zeit noch auch. Allein in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und - seit einigen Monaten - Hessen werden kurdische Namen akzeptiert. (Siehe hierzu "Kurdistan heute", Heft 4 vom Frühjahr '93.)
Ein drittes Beispiel für den eigentlich sehr privat-menschlichen und dennoch zugleich hochbrisant politischen Charakter der Arbeiten Jamals.
Abgebildet ist ein weiblicher Körper, zunächst anscheinend recht naturalistisch, jedoch beim näheren Betrachten mit bezeichnender Veränderung : den Busen dieser Frau, ihre weichste, zarteste Stelle, "umzäumt" (möchte man sagen) Stacheldraht. Der Körper, teils reliefartig (mit großen Eierschalenfragmenten) geformt, scheint (bei feinzerkleinertem Material) in der Bildfläche zu verschwinden.
Lauter Verbote ! Sogar die Liebe scheint sich zu entfernen, sich von selber zu verbieten. Wo um elementarste öffentliche Freiheit erst noch gekämpft werden muß, wird eine andere elementare Wesenheit: die Intimität der Geschlechter, die Liebe zum Problem.
Dazu noch eine besondere kultur-historische Anmerkung. Die altkurdischen Nomaden frauen hatten früher eine viel fester gestaltete soziale Rechtsstellung im Familien- und Stammesverband als jetzt unter islamisierten Verhältnissen. Die Kurden haben den Ruf, gegenüber ihren Frauen (im Vergleich zu den umliegenden Völkern) traditionell die freieste Einstellung zu praktizieren. Insofern ist auch das Selbstbewußtsein der kurdischen Frauen stärker ausgeprägt als bei
den Nachbarvölkern. (Das fällt besonders einem euro
päischen Beobachter sofort auf.) In der kurdischen un
abhängigen Republik Maha bad (1946-47 auf iranischem Gebiet) erhielten die Frauen zum Beispiel verfassungsmäßig ..mäßig dieselben Rechte wie die Männer.
Dementsprechend hoch ist die individuelle Rolle der
Liebe - und ihr politischer Stellenwert. Inder Wirklich
keit. Und natürlich in der Dichtung: ein Stück solcher
kollektiver und zugleich in dividueller politischer
Lie- beslyrik lautet : "Das Volk verblutet und wir mit ihm. Ihr werdet trotzdem nicht sterben. Ihr werdet ewig leben - Solange die Liebe
lebt."
Liebe und Politik! Jamal ist deutlich gesagt - der Meinung, daß also die heute bestehende Männergesellschaft auch durchbrochen werden müsse, weil sie nicht eigentlich kurdischen Ursprungs sei.
Solche Einflüsse müßten wieder abgebaut werden. (Da mögen seine kurdischen Geschlechtsgenossen noch anderer Meinung sein!) Es gehe, so Jamal, auch um einen i n n e r - kur d i s c h e n Veränderungs- und Lernprozeß. Um das ungezwungene menschliche Miteinander wieder natürlicher zu ermöglichen - auch im erotischen Sinne.
Das Bild zeigt drei Streifen, die vom Betrachter her in ein Zentrum führen. Diese drei Wege tragen die Farben rot/weiß/grün der kurdischen Fahne, und in der Mitte die gelbe Sonne. Die Symbolik ist derjenigen der europäischen Ikonologie vergleichbar: rot = Liebe/ Kampf, weiß = Reinheit und Unschuld, grün = Fruchtbarkeit und Hoffnung.
Allein schon diese Fahne als Bildinhalt bedeutet ein Politikum, ist sie doch nirgends offiziell deklariert - jedenfalls n o c h nicht. Aber sie wirkt bereits jetzt als anerkanntes Identifikations-Zeichen. Beweis : eine soeben in Deutschland neu erscheinende ExilZeitschrift "Kurdistan heute" hat sich diese Fahne, aber bezeichnenderweise in der künstlerischen Variation durch Jamal, zum Logo, zum Titel-Emblem ausgewählt.
Die von Jamal vorgenommene Veränderung nämlich ist ein Abbild der politischen Situation der Kurden: die nationalen Farb Wege sind mehrmals durch Stacheldraht unterbrochen. Das Ziel, ein (nicht zufällig) vulkan-förmiges "Nest" mit einem hoffnungs-grünen Ei darin, ist mit Stacheldraht überspannt: die Hoffnung, der Ursprung des Lebens ist gefangen. Überdies bildet dort der Stacheldraht ein Fadenkreuz : das heimatliche Nest als Ziel der kurdischen Hoffnung ist noch ein anderes Ziel : eins für feindlichen Beschuß !
Schließlich daneben ein Spiegel, in dem der Betrachter beim Anschauen - durch Stacheldraht hindurch ! - sich selbst erblickt : den Kurden geht es, wie j e d e m Menschen, der seine Freiheit n i c h t hat. Und das kann - wie der Lauf der Welt zu Genüge lehrt - einem jeden Menschen recht schnell passieren.
Ein kleines Detail zum Schluß als Beispiel für die wohldurchdachte Ausführung dieser Tafeln. Die Sonne in der Mitte der kurdischen Flagge hat achtzehn Strahlen. Das sind die achtzehn traditionellen Welayet, die historischen Fürstentümer Kurdistans. Das ist anscheinend sogar manchen für ihre politischen Rechte aktiv eintretenden Kurden nicht mehr geläufig. (Man zähle 'mal nach bei gelegentlichem "Fahnenhissen".)
Der Titel nennt zwei Menschen beim Namen, einen Jüngling Mem und ein Mädchen Zin, ein Paar, ein Liebespaar, die kurdischen Romeo und Julia. Ihre Geschichte, im 17. Jahrhundert erzählt von Ahmede Xane, verläuft jedoch etwas anders als in der Novelle der italienischen Renaissance oder im Trauerspiel von Shakespeare. Die kurdischen Protagonisten Mem und Zin müssen ihre Liebe verborgen halten. Dort, wo sie sich treffen - in Gestalt der beiden reinen, weißen Eier - überkreuzen sich die Verspannungen, die als die jeweiligen familiären Bindungen anzusehen sind, zu einem Gewebe von doppelter Dichte. Die beiden Liebenden sitzen hinter Fenstergittern, fast wie in Gefangenschaft. Besonders reizvoll an diesem Bild ist der ins Auge fallende Gegensatz zwischen strenger Linienführung
und expressiver Farbigkeit. Wie Lava nach einem Vulkanausbruch breiten sich die starkfarbigen Flüsse aus. Sie stellen die Naturkräfte dar : in Jamals Symbolik bezeichnet gelb/rot das Feuer und die Liebe, blau/türkis das Wasser und das Leben. Den formalen Gegensatz zwischen gewaltiger Eruption und geradem Lineament könnte Jamal dem "Wasserfall von Mäntykoski" des karelischen Symbolisten Axel Gallen abgeschaut haben. Dort überziehen fünf feine Parallelen als Versinnbildlichung der "großen Harfe der Natur" die schäumende Gischt des herabstürzenden Wasserfalls.
Hier handelt es sich aber um Jamals eigene Erfindung - eine moderne bildliche Version für verstecktgehaltene Liebe. Auch ein allegorisches Bild für die im europäischen Exil lebenden Kurden und ihre im Stillen genährte, unvergängliche Liebe zu ihrer traditionsreichen Heimat und Kultur..
Die Zeitrechnung der Kurden beginnt siebenhundert Jahre vor der unseren, man schreibt also gegenwärtig das Jahr 2693. Damals, zu Beginn der kurdischen Zeit, lebte der Kurdenkönig Dehak. Der litt unter einer merkwürdigen Pein, und zwar entwuchsen ihm aus seiner Brust zwei Schlangen, die seinen Körper zerbissen und fraßen. Ihr Hunger war anders nur durch die Darbringung von täglich zwei Hirnen von Kindern zu stillen. (Also eine TributSage wie um andere Ungeheuer in anderen vorder- und mittelasiatischen Mythologien und besonders in der griechischen auch: Minotauros auf Kreta, die Sphinx vor Theben.)
In kinderarmer Zeit (wieso erst dann?) lehnt das Volk sich auf, der Schmied namens Kawa bringt die königliche Ausgeburt um. Meldefeuer im Palast verkünden die Befreiung - Freudenfeuer in den Bergen, wohin man die Kinder gerettet hatte, antworten. Den Tag des Geschehens (nach unserem Kalender am 21. März) feiert man seitdem als Neujahrsanfang und Nationalfeiertag : Newroz.
Jamal hat die Sage und Geschichte wiederaufgegriffen und sie politisch aktualisiert. Er meint, der Dehak lebe noch - für die Kurden. Und zwar in mancherlei Gestalt : die Militärs in der Türkei, die Mullahs im Iran, der Diktator im Irak - das sind seine heutigen Inkarnationen.
Jamal hat ihn mit dem Kopf der Eule porträtiert : aus bluttriefenden Augen stiert uns der nächtliche Räuber an, die Schlangen entwinden sich wie Kainsmale den Federbüscheln auf der Stirn. Fast überflüssig zu sagen : auch den Kurden ist dieser Vogel unheimlich und gilt als unglückstiftendes und todbringendes Omen.
Fast wie bei einem doppelt belichteten Foto zeigt dieses Bild eine weibliche Brust und ein männliches Gesicht in einem: deren provokante Präsentation und dessen aufdringliches Glotzen.
Die Frage nach einer "Schuld" der verführerischen Frau oder des begehrenden Mannes hält Jamal für unsinnig. Eine Belehrung seiner - besonders der männlichen ! - Landsleute zu einem unverstellten Verhältnis der Geschlechter untereinander. Wie es in vor
islamischer Zeit für die Kurden - im Unterschied zu ihren Nachbarn - charakteristisch war. (Siehe auch das zur Tafel "Verbotene Liebe" Gesagte.)
Das Ei meint hier einen Träumer. Der schwebt im freien Raum zwischen dem (rotgelben) verzehrenden Feuer und dem (blauen) lebensspendenden Wasser. Jedenfalls bewegt er sich außerhalb der Realität mit ihren zweckvoll strukturierten Gesetzen (Schnurbespannung).
Die mineralische Zwischenfarbe des Edelsteins Türkis wechselt zwischen Blau (für Jamal die Farbe der Überzeugung) und Grün (allgemein die Farbe der Hoffnung). In ihrer schillernden Unentschlossenheit drückt sie die bedenkliche Lage des Traumwandlers zwischen den mentalen Zuständen aus.
Gemalt nach der Lektüre des berühmten, vom Dichter selbst illustrierten WeltraumMärchens gleichen Titels aus der Feder des französischen Flughelden Antoine de SaintExupery.
Dieses Bild gibt eine Zustandsbeschreibung. Es ist eine beliebige Straße in Deutschland oder sonstwo in Europa - jedenfalls nicht in Kurdistan. In einem Haus wohnen, wie am Klingelkasten abzulesen, zehn Mietparteien. Und wir erleben das Drama zwischen den Bewohnern mit.
Ganz oben sehen wir den Dr. Wolf : akademisch abgehoben, ist er einsam geblieben. Doch er bekommt alles mit und weiß genau, wer mit wem und wann und wo. Über alle erhaben, ist er selber unglücklich und ohne eigentlichen Lebenssinn.
Da gibt es, Mitte rechts, den alten Mann, der alle in Frieden läßt und selber auch in Frieden gelassen werden möchte. Darüber ein Pärchen in harmonischer Beziehung zueinander. Links zwei "Giftschlangen", die sich aufbäumen und überkreuzen. Unten links ganz still eine junge Frau mit Liebhaber.
Und dann wohnen da noch zwei Ausländer im Haus, ein Türke und ein Kurde, wie's der Zufall will. Der Gastarbeiter D. Atici und der Asylant Reso Servan (trotz seines Namens, der "Kämpfer" bedeutet) versuchen, miteinander zu reden. Beide hierzu
lande Fremde, suchen sie, die Animo- sitäten ihrer Völker überwindend, die Verständigung.
Eine ganz normale Geschichte. Im Exil in Deutschland.
Wie es die zum Bildgegenstand gewählte natürliche Körperlichkeit erfordert : ein Relief ! Die beiden Brustspitzen einer Frau - als Ich und als Wunsch - führen ein Zwiegespräch. Und Jamal?, ein Mann - er hätte nur zu gerne gewußt, was die beiden miteinander bereden.
Warum aber alles in Schwarz? Die Antwort zeigt unvermutet ein Stückchen muslimischer Tradition, eine Erinnerung an die Ebe, die Gewandung der konservativen islamischen Frau. Die schwarze Farbe des Tuches ist hier gemeint als Kennzeichen des Zustandes der Gefangenschaft des körperlichen und geistigen Ich und der Trauer darüber und des aussichtlosen Wunsches nach Emanzipation.
Eine Idee, an die man lange Zeit geglaubt hat, fängt an dahinzuschmelzen. Ein Mythos zerbröckelt. Auf einem roten, rechteckigen Podest steht der Mythos, zum Gott erhoben (ein ausdrücklicher Name wird nicht erwähnt). Drumherum die Anbetenden : sie haben ihre Köpfe geneigt, ja geradezu nach Straußenart in den Sand gesteckt.
Bei zunehmender Entfernung vom Numinosen wagen die Menschen, ihr Haupt zu heben; versuchen sie sich selbst zu orientieren; probieren sie den aufrechten Gang. Mit bemerkenswerter Rückwirkung : der Sockel-Block schmilzt. Ohne das ihm ergebene Volk ist der Mächtige in seiner Existenz gefährdet. Gott gibt es nur, wenn man an ihn glaubt.
Das Ei, das sich die Menschen - nach ihrem Bilde - zum Heiligtum erhoben haben, könnte sich als bloßer Popanz, als Windei erweisen. Aufklärung tut not! Die ist nach Immanuel Kant "der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit".
"Les grands ne sont grands parce que nous sommes ä genoux - levons-nous!", schrieb Louis Prudhomme : Die Großen sind nur groß, weil wir auf den Knien liegen - erheben wir uns !
Bombeneinschlag im Krieg oder Sylvester-Knallerei? Drei Tanzpaare mit lustigen Kappen feiern - ungeachtet dessen, was in der Welt um sie herum geschieht.
Die drei sternförmigen Explosionen kennzeichnen drei Unruheherde bei der Jahreswende 1992/93: Bosnien, Somalia, Kurdistan. Ein Momentan-Ausschnitt aus der gegenwärtigen politischen Lage. Und die Ignoranten tanzen dazu - einen Totentanz!
Ein ruhiges Gemälde der Dualität. Zwei Systeme von Saiten, über Dosen als Resonanzkörper gespannt, erzeugen Klänge. Deren Ausbreitung geschieht einmal wellenförmig zentrifugal (rechts, vom Betrachter aus gesehen), einmal diffus (links). Hier also sehr regelmäßig geordnet, dort nach Zufälligkeiten zerstreut.
Doch die Unterschiedlichkeit der Systeme ist komplementär. Die zwei Klänge ergänzen einander. Ohne die andere Hälfte wäre die eine bloß Torso, Fragment. Wahrscheinlich hat Jamal sich von der zoroastrischen Lehre anleiten lassen, die vom Widerstreit des Guten und des Bösen spricht. Dieses dualistische Prinzip erwähnt er gesprächsweise oft. Auch ohne religiösen Hintergrund, etwa wenn er ein kurdisches Sprichwort zitiert: "Die Berge sind unsere Feinde, aber sie sind auch unsere Freunde." (Gemeint : feindlich als karges, unwirtliches Land; freundlich als Zuflucht in der Not.) Auch seine Landsleute, die noch der jesidischen Religion angehören, erkennen neben dem Regelmäßigen und Schönen das Böse und Unberechenbare als Daseinsprinzip an (weshalb Verständnislose sie als "Teufelsanbeter" mißverstehen und diffamieren).
Auch solche Darstellungen von Zwischenzuständen sind für die Kunst von Jamal typisch. Wir sehen eine Verspannung wie diejenige der längsgespannten Kettfäden auf einem Webstuhl. (Und tatsächlich stammt diese Bildidee von dem Handwebstuhl eines älteren Bruders, der aus Stoffresten Teppiche wob.) Darunter erblicken wir - nicht recht deutlich - eine ovale Abhebung, umgeben von Farbpartikeln in schwer definierbarer Form. Ein unscharfer Traum.
In diesen hinein fährt ein blankes Messer. Noch hat es die Schnüre, die das Traumbild schützen, nicht eingeschnitten. Eine gefährliche Erwartungssituation.
Der Mensch (das Ei) sieht seinen Traum bedroht. Auf dem Messerknauf ist eine dämonische Physiognomie zu erahnen. In den frühlingshaften Wiesenblütenfarben bleibt der Mensch trotz der Bedrohung optimistisch. Das ist Jamal.
Urfa ist eine Stadt im türkisch besetzten Kurdistan. Ihr ursprünglicher Name lautet Reha. Die Stadt ist umgeben von niedrigen, wildgewachsenen Buschwäldern - eine Gegend, die die türkische Regierung bewußt unterentwickelt gelassen hat.
Auch die Menschen dort sind, fern der modernen Zivilisation, einfach, naiv und scheu geblieben.
Zwei junge Mädchen aus Urfa haben von Verwandten aus Deutschland ein Kästchen mit Schminke geschickt bekommen. Die probieren
sie nun, versteckt im Gebüsch, heimlich aus.
Eine kleine, melancholische und doch ein wenig beglückende Erzählung.
Die Geschichte eines europäischen Paares. Die beiden haben sich einmal sehr geliebt und darüber ihre Umwelt vergessen. Sie sind "ausgestiegen", innerlich ausgewandert, in die Toskana oder - sagen wir - auf eine Südsee-Insel entschwunden. Dort hocken sie nun, und ihre Insel, die Trauminsel, wurde ihnen inzwischen zum Gefängnis - dargestellt durch einen Staketenzaun aus langen Nägeln.
Man müßte entfliehen können, aber wie?, über den Zaun? Einer versucht's gerade. Wenn sie keinen Ausweg finden, werden sie spurlos untergehen, rückstandsfrei verschwinden wie in einem Loch (da ist es schon!).
Mitten im blauen, blauen Meer.
Das Bild dokumentiert die Unmöglichkeit des Paradieses auf Erden. Nicht nur der alt testamentliche Schöpfungsbericht, sondern auch andere, orientalische und afrikanische Weltentstehungsmythen kleiden die Idee dieses utopischen Anderswo in das Bild eines Gartens, abgeschlossen wie eine Insel. Auffällig übrigens, daß die biblische Beschreibung des Gartens Eden (Genesis 2, besonders Vers 15) ausdrücklich die mesopotamischen Flüsse Der Wortstamm - avetisch pairi-daeza = Umwallung, eingehegter Park - bezeugt, daß die Paradieses-Idee durchaus auf eine lokalisierbare irdische Konkretion gerichtet war. Erst im Christentum (Lukas-Evangelium 23, Vers 43) wird der Aufenthaltsort der Seligen ins Jenseits verlegt. Jamal aber hatte wohl mehr an eine Insel der Liebenden wie die sagenhafte griechische Aphrodite-Kultstätte Kythera gedacht.
Wenn die Kamele einer Karawane durch die Wüste schreiten, hinterlassen sie Spuren im Sand. Besonders im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris haben viele Karawanen, viele hindurchziehende Völker, viele erobernde Heere ihre Spuren hinterlassen. Und die dort ansässigen Kurden haben alles überstanden - jahrhundertelang und mal hierhin, mal dorthin sich verbündend.
Nur im historischen Augenblick der Bildung von Nationalstaaten in der Region haben sie ihre Chance zwischen den sich formierenden Ländern nicht wahrgenommen und damit verpaßt. Die Kurden, hier dargestellt durch aufrecht stehende Eier in der Trauerfarbe Schwarz - jetzt wurden sie Opfer ihrer instabilen Situation. Zertreten von der Ferse eines Nachbarn, der vormals mit größerer Rücksicht (auf Zehenspitzen, wie man sieht!) durch das kurdische Gebiet gegangen war. - Ein kurdischer Nationalstaat wäre - unbeschadet des ganz andersartigen, fortgeschritteneren Zeitgeschehens in Europa - eben jetzt eine historisch unerläßliche politische Notwendigkeit.
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
Ein weiches, weißes Gewölbe aus Stoff - empfindlich und rein. Auf ihm bewegen sich zwei zarte, heile Eier - ebenso sensibel und verletzlich. Feindlich dreinstoßende Fremdkörper, Projektile in der Form von starken Nägeln wollen die Fläche besetzen, treffen und zerstören eines der Eier, das ihnen schutzlos ausgeliefert ist. Sie stellen für Jamal alle die Eindringlinge dar, die den persönlichen Sicherheitsbereich der anderen mißachten : die Besatzer, die Eroberer, die Ausrotter und Töter - immer Männer...
Eine allgemein menschliche Allegorie. Ob sie auch etwas mit Kurdistan zu tun hat? Die verheerend eindringenden Nägel als die vier Besatzerstaaten Kurdistans?
Eine Erinnerung an die Kindheit auf dem Lande. In der Mitte des zu bearbeitenden Feldes setzt am Morgen der Vater den kleinen Jamal ab. Und beginnt, von zwei Maultieren unterstützt, sein Tagewerk, nämlich den Boden zu pflügen. Und der kleine Jamal spielt derweil mit der Erde, besieht sie, fühlt sie, riecht sie und nimmt auch dann und wann ein wenig davon in den Mund. Und bemerkt dabei, wie um ihn herum zusehends durch die gezogenen Ackerfurchen eine neue Welt entsteht. Und mit ihm mittendrin ! Der kleine Jamal als Mittelpunkt der Welt!
Die gelbe, bräunlich-rötliche Farbe des aufgeworfenen Erdreichs changiert je nach dem einfallenden Licht. Auch die Furchen dieses Bildes muß man natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln her ansehen. - Noch heute entstehen in Jamal beim Betrachten dieser Tafel der Geruch des frisch aufgebrochenen Erdbodens und der Duft der großen, weiten, heilen Welt der Kindheit. Und fraglos selbstverständlich die eigene kleine Person als Zentrum und Zweck und Sinn des Alls.
Ein Herz und seine zwei Seiten : die eine aufnehmend, in sich hineinsaugend; die andere abgebend, hervorspringend. Die formale Analogie mit und die gedankliche Assoziation zu Augen sind beabsichtigt : der Weg zwischen Auge und Herz ist für Jamal nicht weit.
Für Augen und Herz in gleicher Weise gibt es zweierlei Eindrücke : klar strukturierte, wie sie die strenge Fadenbespannung und die geschlossene Reihe der Eier in der einen Bildhälfte zeigen. Und unregelmäßig gebildete, wie sie die diagonalen Saiten ergeben, deren Formation durch die dazwischentretende Marschordnung der Eier erheblich beeinträchtigt wurde.
Gesicht und Gefühl sind für Jamal die zwei Hauptelemente der menschlichen Konstitution. Nicht von ohngefähr arbeitet er in einem Medium, das aufs Sehen angewiesen ist. Und nicht umsonst benutzt er sein bildnerisches Talent weniger zum mimetischen Abbilden von Wirklichkeit als vielmehr zum Visualisieren seiner Gedanken. Das ist im doppelten Sinne Imagination.
C'est vraiment lui.
Ein ähnliches Raster wie im vorigen Bild. Zwei Gruppen stehen sich diagonal gegenüber, die roten sind die heranmarschierenden Invasoren. Mitten im Haus der gegnerischen Population haben sie bereits ihren Spion plaziert.
Irgendwo auf dem weiten Meer treibt ein Floß mit einem Schatz - unter der Fadenbespannung erkennt man vage die Gestalt einer Frau; ein kastenf?rmiges Stück Schwamm enthält (vielleicht!) ein Geheimnis. Auf jeden Fall sollte man versuchen, es an Land zu ziehen. Eine kleine Träumerei.
Eine Friedenstaube : ihr Körper- und Kopfumriß ist als tauben-blaue Fläche auszumachen. Jedoch ihr gelber Schnabel ist nach innen, in den eigenen Leib hinein gerichtet. Ihm entströmt der titelgebende "rote Dunst".
Der verströmende, sich verflüchtigende rote Dunst symbolisiert, nach Jamal, zweierlei : Die Lüge des friedensbeteuernden Kommunismus. Und das Versagen der indoktrinierten europäischen Friedensbewegung. Schuld an der tödlichen Umkehr des Schnabels sind die
fünf reichsten Industrienationen, ihre blockierende Politik erscheint in Form von fünf dicken, großen Eiern. (Die anderen sind ohnehin nur noch als Fragmente, als Reste von Eierschalen existent.)
Wo bleibt die Friedensbewegung jetzt - angesichts der
Massaker in Bosnien zum Beispiel? Euphemistisch umschrieben als "ethnische Säuberung", wie sie sich wohl
auch der irakische Diktator für die Kurden vorstellen
mag. Eine sehr traurige Friedens. taube.
Ganz offensichtlich ein politisches Bild. Und doch - in seiner geschlossenen Form - ohne jegliche Aggression, eher bloß feststellend.
Den Inhalt kann jeder Betrachter selber herauslesen, die zusammengefügten Ingredienzien deuten : den mit Gewehrpatronen gespickten Thronstuhl des Diktators; dessen Umkippen wäre für ihn tödlich; doch die untergelegten Eier - Jamal nennt sie "die Heuchler" - wirken als Stützen des mörderischen Systems. Der Nein-Sager wird gehenkt; die Augen der Öffentlichkeit schauen zu : groß, neugierig, aber letztlich indifferent.
Machtbegierde, Positionsverteidigung, heuchlerische Dienstwilligkeit, Widerstandleisten und Zuschauen ohne eigenes Engagement - all dies sind menschliche Verhaltensweisen, daher hat Jamal sie mit
der Kontur eines Eies umrandet.
randet.
Das Bild konstatiert den Terror der Macht. Aus eigener, leidvoller Erfahrung verwendet Jamal die kurdischen Farben rot/weiß/grün.
Ein sehr friedvolles und poetisches Bild. Jamal hatte sich dabei mehrere passende Szenen gedacht : wenn zwei kleine Kinder schlafen und dann das eine erwacht und das andere noch nicht. Oder wenn Blumen im Garten stehen und die eine aufblüht, aber die zweite noch als Knospe verharrt. Situationen der Latenz.
Das zarte Aufbrechen aus diesem Zustand hat Jamal mit den für sein (Euvre typischen Bildgegenständen dargestellt: eines der beiden Eier hat die flächige, aber durchlässige Bespannung schon durchstoßen. Das zweite bleibt noch unter ihr verborgen, dem - in sinnfälliger Weise aus Eierschalenmaterial geschichteten - Urgrund näher.
Der Untertitel nimmt eine lyrische Passage aus Shakespeares "Romeo und Julia" auf, kehrt aber Julias (Selbst-) Täuschung um. Sehr wohl war es die morgenkündende Lerche, "die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang" !
Erwachen 1992
100 x 60 x 8 cm
"Kurdistan, min Beriya Te Kiriye" - ein Bild der Liebe und der Politik. Der deutsche Titel lautet: "Kurdistan, ich habe Sehnsucht nach dir! "
Eine politische Allegorie und ein persönliches Bekenntnis : rechts unten im Bildfeld findet sich ein StacheldrahtKalendarium mit zwölf Abschnitten. Es sind die Jahre 1980-92 in Jamals Biographie. Zwölf Jahre der Trennung von seinem Land und seiner Familie. Und die gegenwärtige Unmöglichkeit, dorthin zurückzukehren.
In einem großen SpinnenNetz sind die darin gefangenen Opfer durch Eier versinnbildlicht: neugeborene Kinder, im Moment der Namensgebung. Die Eierschalen sind beschriftet, auf der einen Seite mit kurdischen Namen, die durchgestrichen sind; auf der anderen mit türkischen. Man liest also "Bawer", "$ivan", "Delal" und andere u n erlaubte Namen, ersetzt durch erlaubte.
Nichts gegen jene anderen, die türkischen oder arabischen Namen! Aber w o - g e g e n Jamal unbedingt Stellung nehmen will, ist deren zwangsweise Einführung. Und das Verbot der eigensprachigen kurdischen. Gegen die Namensveränderung und gegen die damit einhergehende Identitätsveränderung ! (Ich erinnere daran, daß er selbst ja einen oktroyierten arabischsprachigen Namen trägt.)
Und jetzt kommt überhaupt das Schärfste ! Die NamensDiskriminierung setzt sich in deutschen Standesämtern fort : kurdische Eltern (beispielsweise türkischer Staatsangehörigkeit) dürfen ihren Kindern auch in Deutschland keine kurdischen Namen geben ! Die Standesämter besitzen eine Liste der türkischen Konsulate, in der alle offiziellen türkischen Namen verzeichnet sind. Dort nicht vorkommende Namen werden auf deutschen Standesämtern nicht vergeben!
Ja, bis zum Golfkrieg hin durfte sogar die ethnische Bezeichnung "Kurden" ("Kürtler") nicht in türkischen Medien verwendet werden. Kurdisch als Amtssprache ist seit Kemal Atatürk nicht erlaubt - die Existenz die
ses Volkes in der Türkei wurde jahrzehntelang schlichtweg geleugnet. Und das, obwohl den Kurden im Vertrag von Sevres (1920) eine autonome Region in Aussicht gestellt worden war. Und obwohl im Lausanner Friedensabkommen (von 1923) im § 39 steht : "jedem türkischen Staatsangehörigen wird hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache s e in e r W a h 1 in seinen privaten und geschäftlichen Beziehungen, in Presse, Publikationen und im öffentlichen Leben keinerlei Beschränkung auferlegt. " In Kurdistan sieht die Wirklichkeit anders aus, nicht nur im türkischen Teil.
Und in Deutschland im allgemeinen zur Zeit noch auch. Allein in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und - seit einigen Monaten - Hessen werden kurdische Namen akzeptiert. (Siehe hierzu "Kurdistan heute", Heft 4 vom Frühjahr '93.)
Ein drittes Beispiel für den eigentlich sehr privat-menschlichen und dennoch zugleich hochbrisant politischen Charakter der Arbeiten Jamals.
Abgebildet ist ein weiblicher Körper, zunächst anscheinend recht naturalistisch, jedoch beim näheren Betrachten mit bezeichnender Veränderung : den Busen dieser Frau, ihre weichste, zarteste Stelle, "umzäumt" (möchte man sagen) Stacheldraht. Der Körper, teils reliefartig (mit großen Eierschalenfragmenten) geformt, scheint (bei feinzerkleinertem Material) in der Bildfläche zu verschwinden.
Lauter Verbote ! Sogar die Liebe scheint sich zu entfernen, sich von selber zu verbieten. Wo um elementarste öffentliche Freiheit erst noch gekämpft werden muß, wird eine andere elementare Wesenheit: die Intimität der Geschlechter, die Liebe zum Problem.
Dazu noch eine besondere kultur-historische Anmerkung. Die altkurdischen Nomaden frauen hatten früher eine viel fester gestaltete soziale Rechtsstellung im Familien- und Stammesverband als jetzt unter islamisierten Verhältnissen. Die Kurden haben den Ruf, gegenüber ihren Frauen (im Vergleich zu den umliegenden Völkern) traditionell die freieste Einstellung zu praktizieren. Insofern ist auch das Selbstbewußtsein der kurdischen Frauen stärker ausgeprägt als bei
den Nachbarvölkern. (Das fällt besonders einem euro
päischen Beobachter sofort auf.) In der kurdischen un
abhängigen Republik Maha bad (1946-47 auf iranischem Gebiet) erhielten die Frauen zum Beispiel verfassungsmäßig ..mäßig dieselben Rechte wie die Männer.
Dementsprechend hoch ist die individuelle Rolle der
Liebe - und ihr politischer Stellenwert. Inder Wirklich
keit. Und natürlich in der Dichtung: ein Stück solcher
kollektiver und zugleich in dividueller politischer
Lie- beslyrik lautet : "Das Volk verblutet und wir mit ihm. Ihr werdet trotzdem nicht sterben. Ihr werdet ewig leben - Solange die Liebe
lebt."
Liebe und Politik! Jamal ist deutlich gesagt - der Meinung, daß also die heute bestehende Männergesellschaft auch durchbrochen werden müsse, weil sie nicht eigentlich kurdischen Ursprungs sei.
Solche Einflüsse müßten wieder abgebaut werden. (Da mögen seine kurdischen Geschlechtsgenossen noch anderer Meinung sein!) Es gehe, so Jamal, auch um einen i n n e r - kur d i s c h e n Veränderungs- und Lernprozeß. Um das ungezwungene menschliche Miteinander wieder natürlicher zu ermöglichen - auch im erotischen Sinne.
Das Bild zeigt drei Streifen, die vom Betrachter her in ein Zentrum führen. Diese drei Wege tragen die Farben rot/weiß/grün der kurdischen Fahne, und in der Mitte die gelbe Sonne. Die Symbolik ist derjenigen der europäischen Ikonologie vergleichbar: rot = Liebe/ Kampf, weiß = Reinheit und Unschuld, grün = Fruchtbarkeit und Hoffnung.
Allein schon diese Fahne als Bildinhalt bedeutet ein Politikum, ist sie doch nirgends offiziell deklariert - jedenfalls n o c h nicht. Aber sie wirkt bereits jetzt als anerkanntes Identifikations-Zeichen. Beweis : eine soeben in Deutschland neu erscheinende ExilZeitschrift "Kurdistan heute" hat sich diese Fahne, aber bezeichnenderweise in der künstlerischen Variation durch Jamal, zum Logo, zum Titel-Emblem ausgewählt.
Die von Jamal vorgenommene Veränderung nämlich ist ein Abbild der politischen Situation der Kurden: die nationalen Farb Wege sind mehrmals durch Stacheldraht unterbrochen. Das Ziel, ein (nicht zufällig) vulkan-förmiges "Nest" mit einem hoffnungs-grünen Ei darin, ist mit Stacheldraht überspannt: die Hoffnung, der Ursprung des Lebens ist gefangen. Überdies bildet dort der Stacheldraht ein Fadenkreuz : das heimatliche Nest als Ziel der kurdischen Hoffnung ist noch ein anderes Ziel : eins für feindlichen Beschuß !
Schließlich daneben ein Spiegel, in dem der Betrachter beim Anschauen - durch Stacheldraht hindurch ! - sich selbst erblickt : den Kurden geht es, wie j e d e m Menschen, der seine Freiheit n i c h t hat. Und das kann - wie der Lauf der Welt zu Genüge lehrt - einem jeden Menschen recht schnell passieren.
Ein kleines Detail zum Schluß als Beispiel für die wohldurchdachte Ausführung dieser Tafeln. Die Sonne in der Mitte der kurdischen Flagge hat achtzehn Strahlen. Das sind die achtzehn traditionellen Welayet, die historischen Fürstentümer Kurdistans. Das ist anscheinend sogar manchen für ihre politischen Rechte aktiv eintretenden Kurden nicht mehr geläufig. (Man zähle 'mal nach bei gelegentlichem "Fahnenhissen".)
Der Titel nennt zwei Menschen beim Namen, einen Jüngling Mem und ein Mädchen Zin, ein Paar, ein Liebespaar, die kurdischen Romeo und Julia. Ihre Geschichte, im 17. Jahrhundert erzählt von Ahmede Xane, verläuft jedoch etwas anders als in der Novelle der italienischen Renaissance oder im Trauerspiel von Shakespeare. Die kurdischen Protagonisten Mem und Zin müssen ihre Liebe verborgen halten. Dort, wo sie sich treffen - in Gestalt der beiden reinen, weißen Eier - überkreuzen sich die Verspannungen, die als die jeweiligen familiären Bindungen anzusehen sind, zu einem Gewebe von doppelter Dichte. Die beiden Liebenden sitzen hinter Fenstergittern, fast wie in Gefangenschaft. Besonders reizvoll an diesem Bild ist der ins Auge fallende Gegensatz zwischen strenger Linienführung
und expressiver Farbigkeit. Wie Lava nach einem Vulkanausbruch breiten sich die starkfarbigen Flüsse aus. Sie stellen die Naturkräfte dar : in Jamals Symbolik bezeichnet gelb/rot das Feuer und die Liebe, blau/türkis das Wasser und das Leben. Den formalen Gegensatz zwischen gewaltiger Eruption und geradem Lineament könnte Jamal dem "Wasserfall von Mäntykoski" des karelischen Symbolisten Axel Gallen abgeschaut haben. Dort überziehen fünf feine Parallelen als Versinnbildlichung der "großen Harfe der Natur" die schäumende Gischt des herabstürzenden Wasserfalls.
Hier handelt es sich aber um Jamals eigene Erfindung - eine moderne bildliche Version für verstecktgehaltene Liebe. Auch ein allegorisches Bild für die im europäischen Exil lebenden Kurden und ihre im Stillen genährte, unvergängliche Liebe zu ihrer traditionsreichen Heimat und Kultur..
Die Zeitrechnung der Kurden beginnt siebenhundert Jahre vor der unseren, man schreibt also gegenwärtig das Jahr 2693. Damals, zu Beginn der kurdischen Zeit, lebte der Kurdenkönig Dehak. Der litt unter einer merkwürdigen Pein, und zwar entwuchsen ihm aus seiner Brust zwei Schlangen, die seinen Körper zerbissen und fraßen. Ihr Hunger war anders nur durch die Darbringung von täglich zwei Hirnen von Kindern zu stillen. (Also eine TributSage wie um andere Ungeheuer in anderen vorder- und mittelasiatischen Mythologien und besonders in der griechischen auch: Minotauros auf Kreta, die Sphinx vor Theben.)
In kinderarmer Zeit (wieso erst dann?) lehnt das Volk sich auf, der Schmied namens Kawa bringt die königliche Ausgeburt um. Meldefeuer im Palast verkünden die Befreiung - Freudenfeuer in den Bergen, wohin man die Kinder gerettet hatte, antworten. Den Tag des Geschehens (nach unserem Kalender am 21. März) feiert man seitdem als Neujahrsanfang und Nationalfeiertag : Newroz.
Jamal hat die Sage und Geschichte wiederaufgegriffen und sie politisch aktualisiert. Er meint, der Dehak lebe noch - für die Kurden. Und zwar in mancherlei Gestalt : die Militärs in der Türkei, die Mullahs im Iran, der Diktator im Irak - das sind seine heutigen Inkarnationen.
Jamal hat ihn mit dem Kopf der Eule porträtiert : aus bluttriefenden Augen stiert uns der nächtliche Räuber an, die Schlangen entwinden sich wie Kainsmale den Federbüscheln auf der Stirn. Fast überflüssig zu sagen : auch den Kurden ist dieser Vogel unheimlich und gilt als unglückstiftendes und todbringendes Omen.
Fast wie bei einem doppelt belichteten Foto zeigt dieses Bild eine weibliche Brust und ein männliches Gesicht in einem: deren provokante Präsentation und dessen aufdringliches Glotzen.
Die Frage nach einer "Schuld" der verführerischen Frau oder des begehrenden Mannes hält Jamal für unsinnig. Eine Belehrung seiner - besonders der männlichen ! - Landsleute zu einem unverstellten Verhältnis der Geschlechter untereinander. Wie es in vor
islamischer Zeit für die Kurden - im Unterschied zu ihren Nachbarn - charakteristisch war. (Siehe auch das zur Tafel "Verbotene Liebe" Gesagte.)
Das Ei meint hier einen Träumer. Der schwebt im freien Raum zwischen dem (rotgelben) verzehrenden Feuer und dem (blauen) lebensspendenden Wasser. Jedenfalls bewegt er sich außerhalb der Realität mit ihren zweckvoll strukturierten Gesetzen (Schnurbespannung).
Die mineralische Zwischenfarbe des Edelsteins Türkis wechselt zwischen Blau (für Jamal die Farbe der Überzeugung) und Grün (allgemein die Farbe der Hoffnung). In ihrer schillernden Unentschlossenheit drückt sie die bedenkliche Lage des Traumwandlers zwischen den mentalen Zuständen aus.
Gemalt nach der Lektüre des berühmten, vom Dichter selbst illustrierten WeltraumMärchens gleichen Titels aus der Feder des französischen Flughelden Antoine de SaintExupery.
Dieses Bild gibt eine Zustandsbeschreibung. Es ist eine beliebige Straße in Deutschland oder sonstwo in Europa - jedenfalls nicht in Kurdistan. In einem Haus wohnen, wie am Klingelkasten abzulesen, zehn Mietparteien. Und wir erleben das Drama zwischen den Bewohnern mit.
Ganz oben sehen wir den Dr. Wolf : akademisch abgehoben, ist er einsam geblieben. Doch er bekommt alles mit und weiß genau, wer mit wem und wann und wo. Über alle erhaben, ist er selber unglücklich und ohne eigentlichen Lebenssinn.
Da gibt es, Mitte rechts, den alten Mann, der alle in Frieden läßt und selber auch in Frieden gelassen werden möchte. Darüber ein Pärchen in harmonischer Beziehung zueinander. Links zwei "Giftschlangen", die sich aufbäumen und überkreuzen. Unten links ganz still eine junge Frau mit Liebhaber.
Und dann wohnen da noch zwei Ausländer im Haus, ein Türke und ein Kurde, wie's der Zufall will. Der Gastarbeiter D. Atici und der Asylant Reso Servan (trotz seines Namens, der "Kämpfer" bedeutet) versuchen, miteinander zu reden. Beide hierzu
lande Fremde, suchen sie, die Animo- sitäten ihrer Völker überwindend, die Verständigung.
Eine ganz normale Geschichte. Im Exil in Deutschland.
Wie es die zum Bildgegenstand gewählte natürliche Körperlichkeit erfordert : ein Relief ! Die beiden Brustspitzen einer Frau - als Ich und als Wunsch - führen ein Zwiegespräch. Und Jamal?, ein Mann - er hätte nur zu gerne gewußt, was die beiden miteinander bereden.
Warum aber alles in Schwarz? Die Antwort zeigt unvermutet ein Stückchen muslimischer Tradition, eine Erinnerung an die Ebe, die Gewandung der konservativen islamischen Frau. Die schwarze Farbe des Tuches ist hier gemeint als Kennzeichen des Zustandes der Gefangenschaft des körperlichen und geistigen Ich und der Trauer darüber und des aussichtlosen Wunsches nach Emanzipation.
Eine Idee, an die man lange Zeit geglaubt hat, fängt an dahinzuschmelzen. Ein Mythos zerbröckelt. Auf einem roten, rechteckigen Podest steht der Mythos, zum Gott erhoben (ein ausdrücklicher Name wird nicht erwähnt). Drumherum die Anbetenden : sie haben ihre Köpfe geneigt, ja geradezu nach Straußenart in den Sand gesteckt.
Bei zunehmender Entfernung vom Numinosen wagen die Menschen, ihr Haupt zu heben; versuchen sie sich selbst zu orientieren; probieren sie den aufrechten Gang. Mit bemerkenswerter Rückwirkung : der Sockel-Block schmilzt. Ohne das ihm ergebene Volk ist der Mächtige in seiner Existenz gefährdet. Gott gibt es nur, wenn man an ihn glaubt.
Das Ei, das sich die Menschen - nach ihrem Bilde - zum Heiligtum erhoben haben, könnte sich als bloßer Popanz, als Windei erweisen. Aufklärung tut not! Die ist nach Immanuel Kant "der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit".
"Les grands ne sont grands parce que nous sommes ä genoux - levons-nous!", schrieb Louis Prudhomme : Die Großen sind nur groß, weil wir auf den Knien liegen - erheben wir uns !
Bombeneinschlag im Krieg oder Sylvester-Knallerei? Drei Tanzpaare mit lustigen Kappen feiern - ungeachtet dessen, was in der Welt um sie herum geschieht.
Die drei sternförmigen Explosionen kennzeichnen drei Unruheherde bei der Jahreswende 1992/93: Bosnien, Somalia, Kurdistan. Ein Momentan-Ausschnitt aus der gegenwärtigen politischen Lage. Und die Ignoranten tanzen dazu - einen Totentanz!
Ein ruhiges Gemälde der Dualität. Zwei Systeme von Saiten, über Dosen als Resonanzkörper gespannt, erzeugen Klänge. Deren Ausbreitung geschieht einmal wellenförmig zentrifugal (rechts, vom Betrachter aus gesehen), einmal diffus (links). Hier also sehr regelmäßig geordnet, dort nach Zufälligkeiten zerstreut.
Doch die Unterschiedlichkeit der Systeme ist komplementär. Die zwei Klänge ergänzen einander. Ohne die andere Hälfte wäre die eine bloß Torso, Fragment. Wahrscheinlich hat Jamal sich von der zoroastrischen Lehre anleiten lassen, die vom Widerstreit des Guten und des Bösen spricht. Dieses dualistische Prinzip erwähnt er gesprächsweise oft. Auch ohne religiösen Hintergrund, etwa wenn er ein kurdisches Sprichwort zitiert: "Die Berge sind unsere Feinde, aber sie sind auch unsere Freunde." (Gemeint : feindlich als karges, unwirtliches Land; freundlich als Zuflucht in der Not.) Auch seine Landsleute, die noch der jesidischen Religion angehören, erkennen neben dem Regelmäßigen und Schönen das Böse und Unberechenbare als Daseinsprinzip an (weshalb Verständnislose sie als "Teufelsanbeter" mißverstehen und diffamieren).
Auch solche Darstellungen von Zwischenzuständen sind für die Kunst von Jamal typisch. Wir sehen eine Verspannung wie diejenige der längsgespannten Kettfäden auf einem Webstuhl. (Und tatsächlich stammt diese Bildidee von dem Handwebstuhl eines älteren Bruders, der aus Stoffresten Teppiche wob.) Darunter erblicken wir - nicht recht deutlich - eine ovale Abhebung, umgeben von Farbpartikeln in schwer definierbarer Form. Ein unscharfer Traum.
In diesen hinein fährt ein blankes Messer. Noch hat es die Schnüre, die das Traumbild schützen, nicht eingeschnitten. Eine gefährliche Erwartungssituation.
Der Mensch (das Ei) sieht seinen Traum bedroht. Auf dem Messerknauf ist eine dämonische Physiognomie zu erahnen. In den frühlingshaften Wiesenblütenfarben bleibt der Mensch trotz der Bedrohung optimistisch. Das ist Jamal.
Urfa ist eine Stadt im türkisch besetzten Kurdistan. Ihr ursprünglicher Name lautet Reha. Die Stadt ist umgeben von niedrigen, wildgewachsenen Buschwäldern - eine Gegend, die die türkische Regierung bewußt unterentwickelt gelassen hat.
Auch die Menschen dort sind, fern der modernen Zivilisation, einfach, naiv und scheu geblieben.
Zwei junge Mädchen aus Urfa haben von Verwandten aus Deutschland ein Kästchen mit Schminke geschickt bekommen. Die probieren
sie nun, versteckt im Gebüsch, heimlich aus.
Eine kleine, melancholische und doch ein wenig beglückende Erzählung.
Die Geschichte eines europäischen Paares. Die beiden haben sich einmal sehr geliebt und darüber ihre Umwelt vergessen. Sie sind "ausgestiegen", innerlich ausgewandert, in die Toskana oder - sagen wir - auf eine Südsee-Insel entschwunden. Dort hocken sie nun, und ihre Insel, die Trauminsel, wurde ihnen inzwischen zum Gefängnis - dargestellt durch einen Staketenzaun aus langen Nägeln.
Man müßte entfliehen können, aber wie?, über den Zaun? Einer versucht's gerade. Wenn sie keinen Ausweg finden, werden sie spurlos untergehen, rückstandsfrei verschwinden wie in einem Loch (da ist es schon!).
Mitten im blauen, blauen Meer.
Das Bild dokumentiert die Unmöglichkeit des Paradieses auf Erden. Nicht nur der alt testamentliche Schöpfungsbericht, sondern auch andere, orientalische und afrikanische Weltentstehungsmythen kleiden die Idee dieses utopischen Anderswo in das Bild eines Gartens, abgeschlossen wie eine Insel. Auffällig übrigens, daß die biblische Beschreibung des Gartens Eden (Genesis 2, besonders Vers 15) ausdrücklich die mesopotamischen Flüsse Der Wortstamm - avetisch pairi-daeza = Umwallung, eingehegter Park - bezeugt, daß die Paradieses-Idee durchaus auf eine lokalisierbare irdische Konkretion gerichtet war. Erst im Christentum (Lukas-Evangelium 23, Vers 43) wird der Aufenthaltsort der Seligen ins Jenseits verlegt. Jamal aber hatte wohl mehr an eine Insel der Liebenden wie die sagenhafte griechische Aphrodite-Kultstätte Kythera gedacht.
Wenn die Kamele einer Karawane durch die Wüste schreiten, hinterlassen sie Spuren im Sand. Besonders im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris haben viele Karawanen, viele hindurchziehende Völker, viele erobernde Heere ihre Spuren hinterlassen. Und die dort ansässigen Kurden haben alles überstanden - jahrhundertelang und mal hierhin, mal dorthin sich verbündend.
Nur im historischen Augenblick der Bildung von Nationalstaaten in der Region haben sie ihre Chance zwischen den sich formierenden Ländern nicht wahrgenommen und damit verpaßt. Die Kurden, hier dargestellt durch aufrecht stehende Eier in der Trauerfarbe Schwarz - jetzt wurden sie Opfer ihrer instabilen Situation. Zertreten von der Ferse eines Nachbarn, der vormals mit größerer Rücksicht (auf Zehenspitzen, wie man sieht!) durch das kurdische Gebiet gegangen war. - Ein kurdischer Nationalstaat wäre - unbeschadet des ganz andersartigen, fortgeschritteneren Zeitgeschehens in Europa - eben jetzt eine historisch unerläßliche politische Notwendigkeit.
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
Ein weiches, weißes Gewölbe aus Stoff - empfindlich und rein. Auf ihm bewegen sich zwei zarte, heile Eier - ebenso sensibel und verletzlich. Feindlich dreinstoßende Fremdkörper, Projektile in der Form von starken Nägeln wollen die Fläche besetzen, treffen und zerstören eines der Eier, das ihnen schutzlos ausgeliefert ist. Sie stellen für Jamal alle die Eindringlinge dar, die den persönlichen Sicherheitsbereich der anderen mißachten : die Besatzer, die Eroberer, die Ausrotter und Töter - immer Männer...
Eine allgemein menschliche Allegorie. Ob sie auch etwas mit Kurdistan zu tun hat? Die verheerend eindringenden Nägel als die vier Besatzerstaaten Kurdistans?
Eine Erinnerung an die Kindheit auf dem Lande. In der Mitte des zu bearbeitenden Feldes setzt am Morgen der Vater den kleinen Jamal ab. Und beginnt, von zwei Maultieren unterstützt, sein Tagewerk, nämlich den Boden zu pflügen. Und der kleine Jamal spielt derweil mit der Erde, besieht sie, fühlt sie, riecht sie und nimmt auch dann und wann ein wenig davon in den Mund. Und bemerkt dabei, wie um ihn herum zusehends durch die gezogenen Ackerfurchen eine neue Welt entsteht. Und mit ihm mittendrin ! Der kleine Jamal als Mittelpunkt der Welt!
Die gelbe, bräunlich-rötliche Farbe des aufgeworfenen Erdreichs changiert je nach dem einfallenden Licht. Auch die Furchen dieses Bildes muß man natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln her ansehen. - Noch heute entstehen in Jamal beim Betrachten dieser Tafel der Geruch des frisch aufgebrochenen Erdbodens und der Duft der großen, weiten, heilen Welt der Kindheit. Und fraglos selbstverständlich die eigene kleine Person als Zentrum und Zweck und Sinn des Alls.
Ein Herz und seine zwei Seiten : die eine aufnehmend, in sich hineinsaugend; die andere abgebend, hervorspringend. Die formale Analogie mit und die gedankliche Assoziation zu Augen sind beabsichtigt : der Weg zwischen Auge und Herz ist für Jamal nicht weit.
Für Augen und Herz in gleicher Weise gibt es zweierlei Eindrücke : klar strukturierte, wie sie die strenge Fadenbespannung und die geschlossene Reihe der Eier in der einen Bildhälfte zeigen. Und unregelmäßig gebildete, wie sie die diagonalen Saiten ergeben, deren Formation durch die dazwischentretende Marschordnung der Eier erheblich beeinträchtigt wurde.
Gesicht und Gefühl sind für Jamal die zwei Hauptelemente der menschlichen Konstitution. Nicht von ohngefähr arbeitet er in einem Medium, das aufs Sehen angewiesen ist. Und nicht umsonst benutzt er sein bildnerisches Talent weniger zum mimetischen Abbilden von Wirklichkeit als vielmehr zum Visualisieren seiner Gedanken. Das ist im doppelten Sinne Imagination.
C'est vraiment lui.
Ein ähnliches Raster wie im vorigen Bild. Zwei Gruppen stehen sich diagonal gegenüber, die roten sind die heranmarschierenden Invasoren. Mitten im Haus der gegnerischen Population haben sie bereits ihren Spion plaziert.
Irgendwo auf dem weiten Meer treibt ein Floß mit einem Schatz - unter der Fadenbespannung erkennt man vage die Gestalt einer Frau; ein kastenf?rmiges Stück Schwamm enthält (vielleicht!) ein Geheimnis. Auf jeden Fall sollte man versuchen, es an Land zu ziehen. Eine kleine Träumerei.
Eine Friedenstaube : ihr Körper- und Kopfumriß ist als tauben-blaue Fläche auszumachen. Jedoch ihr gelber Schnabel ist nach innen, in den eigenen Leib hinein gerichtet. Ihm entströmt der titelgebende "rote Dunst".
Der verströmende, sich verflüchtigende rote Dunst symbolisiert, nach Jamal, zweierlei : Die Lüge des friedensbeteuernden Kommunismus. Und das Versagen der indoktrinierten europäischen Friedensbewegung. Schuld an der tödlichen Umkehr des Schnabels sind die
fünf reichsten Industrienationen, ihre blockierende Politik erscheint in Form von fünf dicken, großen Eiern. (Die anderen sind ohnehin nur noch als Fragmente, als Reste von Eierschalen existent.)
Wo bleibt die Friedensbewegung jetzt - angesichts der
Massaker in Bosnien zum Beispiel? Euphemistisch umschrieben als "ethnische Säuberung", wie sie sich wohl
auch der irakische Diktator für die Kurden vorstellen
mag. Eine sehr traurige Friedens. taube.
Ganz offensichtlich ein politisches Bild. Und doch - in seiner geschlossenen Form - ohne jegliche Aggression, eher bloß feststellend.
Den Inhalt kann jeder Betrachter selber herauslesen, die zusammengefügten Ingredienzien deuten : den mit Gewehrpatronen gespickten Thronstuhl des Diktators; dessen Umkippen wäre für ihn tödlich; doch die untergelegten Eier - Jamal nennt sie "die Heuchler" - wirken als Stützen des mörderischen Systems. Der Nein-Sager wird gehenkt; die Augen der Öffentlichkeit schauen zu : groß, neugierig, aber letztlich indifferent.
Machtbegierde, Positionsverteidigung, heuchlerische Dienstwilligkeit, Widerstandleisten und Zuschauen ohne eigenes Engagement - all dies sind menschliche Verhaltensweisen, daher hat Jamal sie mit
der Kontur eines Eies umrandet.
randet.
Das Bild konstatiert den Terror der Macht. Aus eigener, leidvoller Erfahrung verwendet Jamal die kurdischen Farben rot/weiß/grün.
Ein sehr friedvolles und poetisches Bild. Jamal hatte sich dabei mehrere passende Szenen gedacht : wenn zwei kleine Kinder schlafen und dann das eine erwacht und das andere noch nicht. Oder wenn Blumen im Garten stehen und die eine aufblüht, aber die zweite noch als Knospe verharrt. Situationen der Latenz.
Das zarte Aufbrechen aus diesem Zustand hat Jamal mit den für sein (Euvre typischen Bildgegenständen dargestellt: eines der beiden Eier hat die flächige, aber durchlässige Bespannung schon durchstoßen. Das zweite bleibt noch unter ihr verborgen, dem - in sinnfälliger Weise aus Eierschalenmaterial geschichteten - Urgrund näher.
Der Untertitel nimmt eine lyrische Passage aus Shakespeares "Romeo und Julia" auf, kehrt aber Julias (Selbst-) Täuschung um. Sehr wohl war es die morgenkündende Lerche, "die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang" !
Erwachen 1992
100 x 60 x 8 cm
"Kurdistan, min Beriya Te Kiriye" - ein Bild der Liebe und der Politik. Der deutsche Titel lautet: "Kurdistan, ich habe Sehnsucht nach dir! "
Eine politische Allegorie und ein persönliches Bekenntnis : rechts unten im Bildfeld findet sich ein StacheldrahtKalendarium mit zwölf Abschnitten. Es sind die Jahre 1980-92 in Jamals Biographie. Zwölf Jahre der Trennung von seinem Land und seiner Familie. Und die gegenwärtige Unmöglichkeit, dorthin zurückzukehren.
In einem großen SpinnenNetz sind die darin gefangenen Opfer durch Eier versinnbildlicht: neugeborene Kinder, im Moment der Namensgebung. Die Eierschalen sind beschriftet, auf der einen Seite mit kurdischen Namen, die durchgestrichen sind; auf der anderen mit türkischen. Man liest also "Bawer", "$ivan", "Delal" und andere u n erlaubte Namen, ersetzt durch erlaubte.
Nichts gegen jene anderen, die türkischen oder arabischen Namen! Aber w o - g e g e n Jamal unbedingt Stellung nehmen will, ist deren zwangsweise Einführung. Und das Verbot der eigensprachigen kurdischen. Gegen die Namensveränderung und gegen die damit einhergehende Identitätsveränderung ! (Ich erinnere daran, daß er selbst ja einen oktroyierten arabischsprachigen Namen trägt.)
Und jetzt kommt überhaupt das Schärfste ! Die NamensDiskriminierung setzt sich in deutschen Standesämtern fort : kurdische Eltern (beispielsweise türkischer Staatsangehörigkeit) dürfen ihren Kindern auch in Deutschland keine kurdischen Namen geben ! Die Standesämter besitzen eine Liste der türkischen Konsulate, in der alle offiziellen türkischen Namen verzeichnet sind. Dort nicht vorkommende Namen werden auf deutschen Standesämtern nicht vergeben!
Ja, bis zum Golfkrieg hin durfte sogar die ethnische Bezeichnung "Kurden" ("Kürtler") nicht in türkischen Medien verwendet werden. Kurdisch als Amtssprache ist seit Kemal Atatürk nicht erlaubt - die Existenz die
ses Volkes in der Türkei wurde jahrzehntelang schlichtweg geleugnet. Und das, obwohl den Kurden im Vertrag von Sevres (1920) eine autonome Region in Aussicht gestellt worden war. Und obwohl im Lausanner Friedensabkommen (von 1923) im § 39 steht : "jedem türkischen Staatsangehörigen wird hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache s e in e r W a h 1 in seinen privaten und geschäftlichen Beziehungen, in Presse, Publikationen und im öffentlichen Leben keinerlei Beschränkung auferlegt. " In Kurdistan sieht die Wirklichkeit anders aus, nicht nur im türkischen Teil.
Und in Deutschland im allgemeinen zur Zeit noch auch. Allein in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und - seit einigen Monaten - Hessen werden kurdische Namen akzeptiert. (Siehe hierzu "Kurdistan heute", Heft 4 vom Frühjahr '93.)
Ein drittes Beispiel für den eigentlich sehr privat-menschlichen und dennoch zugleich hochbrisant politischen Charakter der Arbeiten Jamals.
Abgebildet ist ein weiblicher Körper, zunächst anscheinend recht naturalistisch, jedoch beim näheren Betrachten mit bezeichnender Veränderung : den Busen dieser Frau, ihre weichste, zarteste Stelle, "umzäumt" (möchte man sagen) Stacheldraht. Der Körper, teils reliefartig (mit großen Eierschalenfragmenten) geformt, scheint (bei feinzerkleinertem Material) in der Bildfläche zu verschwinden.
Lauter Verbote ! Sogar die Liebe scheint sich zu entfernen, sich von selber zu verbieten. Wo um elementarste öffentliche Freiheit erst noch gekämpft werden muß, wird eine andere elementare Wesenheit: die Intimität der Geschlechter, die Liebe zum Problem.
Dazu noch eine besondere kultur-historische Anmerkung. Die altkurdischen Nomaden frauen hatten früher eine viel fester gestaltete soziale Rechtsstellung im Familien- und Stammesverband als jetzt unter islamisierten Verhältnissen. Die Kurden haben den Ruf, gegenüber ihren Frauen (im Vergleich zu den umliegenden Völkern) traditionell die freieste Einstellung zu praktizieren. Insofern ist auch das Selbstbewußtsein der kurdischen Frauen stärker ausgeprägt als bei
den Nachbarvölkern. (Das fällt besonders einem euro
päischen Beobachter sofort auf.) In der kurdischen un
abhängigen Republik Maha bad (1946-47 auf iranischem Gebiet) erhielten die Frauen zum Beispiel verfassungsmäßig ..mäßig dieselben Rechte wie die Männer.
Dementsprechend hoch ist die individuelle Rolle der
Liebe - und ihr politischer Stellenwert. Inder Wirklich
keit. Und natürlich in der Dichtung: ein Stück solcher
kollektiver und zugleich in dividueller politischer
Lie- beslyrik lautet : "Das Volk verblutet und wir mit ihm. Ihr werdet trotzdem nicht sterben. Ihr werdet ewig leben - Solange die Liebe
lebt."
Liebe und Politik! Jamal ist deutlich gesagt - der Meinung, daß also die heute bestehende Männergesellschaft auch durchbrochen werden müsse, weil sie nicht eigentlich kurdischen Ursprungs sei.
Solche Einflüsse müßten wieder abgebaut werden. (Da mögen seine kurdischen Geschlechtsgenossen noch anderer Meinung sein!) Es gehe, so Jamal, auch um einen i n n e r - kur d i s c h e n Veränderungs- und Lernprozeß. Um das ungezwungene menschliche Miteinander wieder natürlicher zu ermöglichen - auch im erotischen Sinne.
Das Bild zeigt drei Streifen, die vom Betrachter her in ein Zentrum führen. Diese drei Wege tragen die Farben rot/weiß/grün der kurdischen Fahne, und in der Mitte die gelbe Sonne. Die Symbolik ist derjenigen der europäischen Ikonologie vergleichbar: rot = Liebe/ Kampf, weiß = Reinheit und Unschuld, grün = Fruchtbarkeit und Hoffnung.
Allein schon diese Fahne als Bildinhalt bedeutet ein Politikum, ist sie doch nirgends offiziell deklariert - jedenfalls n o c h nicht. Aber sie wirkt bereits jetzt als anerkanntes Identifikations-Zeichen. Beweis : eine soeben in Deutschland neu erscheinende ExilZeitschrift "Kurdistan heute" hat sich diese Fahne, aber bezeichnenderweise in der künstlerischen Variation durch Jamal, zum Logo, zum Titel-Emblem ausgewählt.
Die von Jamal vorgenommene Veränderung nämlich ist ein Abbild der politischen Situation der Kurden: die nationalen Farb Wege sind mehrmals durch Stacheldraht unterbrochen. Das Ziel, ein (nicht zufällig) vulkan-förmiges "Nest" mit einem hoffnungs-grünen Ei darin, ist mit Stacheldraht überspannt: die Hoffnung, der Ursprung des Lebens ist gefangen. Überdies bildet dort der Stacheldraht ein Fadenkreuz : das heimatliche Nest als Ziel der kurdischen Hoffnung ist noch ein anderes Ziel : eins für feindlichen Beschuß !
Schließlich daneben ein Spiegel, in dem der Betrachter beim Anschauen - durch Stacheldraht hindurch ! - sich selbst erblickt : den Kurden geht es, wie j e d e m Menschen, der seine Freiheit n i c h t hat. Und das kann - wie der Lauf der Welt zu Genüge lehrt - einem jeden Menschen recht schnell passieren.
Ein kleines Detail zum Schluß als Beispiel für die wohldurchdachte Ausführung dieser Tafeln. Die Sonne in der Mitte der kurdischen Flagge hat achtzehn Strahlen. Das sind die achtzehn traditionellen Welayet, die historischen Fürstentümer Kurdistans. Das ist anscheinend sogar manchen für ihre politischen Rechte aktiv eintretenden Kurden nicht mehr geläufig. (Man zähle 'mal nach bei gelegentlichem "Fahnenhissen".)
Der Titel nennt zwei Menschen beim Namen, einen Jüngling Mem und ein Mädchen Zin, ein Paar, ein Liebespaar, die kurdischen Romeo und Julia. Ihre Geschichte, im 17. Jahrhundert erzählt von Ahmede Xane, verläuft jedoch etwas anders als in der Novelle der italienischen Renaissance oder im Trauerspiel von Shakespeare. Die kurdischen Protagonisten Mem und Zin müssen ihre Liebe verborgen halten. Dort, wo sie sich treffen - in Gestalt der beiden reinen, weißen Eier - überkreuzen sich die Verspannungen, die als die jeweiligen familiären Bindungen anzusehen sind, zu einem Gewebe von doppelter Dichte. Die beiden Liebenden sitzen hinter Fenstergittern, fast wie in Gefangenschaft. Besonders reizvoll an diesem Bild ist der ins Auge fallende Gegensatz zwischen strenger Linienführung
und expressiver Farbigkeit. Wie Lava nach einem Vulkanausbruch breiten sich die starkfarbigen Flüsse aus. Sie stellen die Naturkräfte dar : in Jamals Symbolik bezeichnet gelb/rot das Feuer und die Liebe, blau/türkis das Wasser und das Leben. Den formalen Gegensatz zwischen gewaltiger Eruption und geradem Lineament könnte Jamal dem "Wasserfall von Mäntykoski" des karelischen Symbolisten Axel Gallen abgeschaut haben. Dort überziehen fünf feine Parallelen als Versinnbildlichung der "großen Harfe der Natur" die schäumende Gischt des herabstürzenden Wasserfalls.
Hier handelt es sich aber um Jamals eigene Erfindung - eine moderne bildliche Version für verstecktgehaltene Liebe. Auch ein allegorisches Bild für die im europäischen Exil lebenden Kurden und ihre im Stillen genährte, unvergängliche Liebe zu ihrer traditionsreichen Heimat und Kultur..
Die Zeitrechnung der Kurden beginnt siebenhundert Jahre vor der unseren, man schreibt also gegenwärtig das Jahr 2693. Damals, zu Beginn der kurdischen Zeit, lebte der Kurdenkönig Dehak. Der litt unter einer merkwürdigen Pein, und zwar entwuchsen ihm aus seiner Brust zwei Schlangen, die seinen Körper zerbissen und fraßen. Ihr Hunger war anders nur durch die Darbringung von täglich zwei Hirnen von Kindern zu stillen. (Also eine TributSage wie um andere Ungeheuer in anderen vorder- und mittelasiatischen Mythologien und besonders in der griechischen auch: Minotauros auf Kreta, die Sphinx vor Theben.)
In kinderarmer Zeit (wieso erst dann?) lehnt das Volk sich auf, der Schmied namens Kawa bringt die königliche Ausgeburt um. Meldefeuer im Palast verkünden die Befreiung - Freudenfeuer in den Bergen, wohin man die Kinder gerettet hatte, antworten. Den Tag des Geschehens (nach unserem Kalender am 21. März) feiert man seitdem als Neujahrsanfang und Nationalfeiertag : Newroz.
Jamal hat die Sage und Geschichte wiederaufgegriffen und sie politisch aktualisiert. Er meint, der Dehak lebe noch - für die Kurden. Und zwar in mancherlei Gestalt : die Militärs in der Türkei, die Mullahs im Iran, der Diktator im Irak - das sind seine heutigen Inkarnationen.
Jamal hat ihn mit dem Kopf der Eule porträtiert : aus bluttriefenden Augen stiert uns der nächtliche Räuber an, die Schlangen entwinden sich wie Kainsmale den Federbüscheln auf der Stirn. Fast überflüssig zu sagen : auch den Kurden ist dieser Vogel unheimlich und gilt als unglückstiftendes und todbringendes Omen.
Fast wie bei einem doppelt belichteten Foto zeigt dieses Bild eine weibliche Brust und ein männliches Gesicht in einem: deren provokante Präsentation und dessen aufdringliches Glotzen.
Die Frage nach einer "Schuld" der verführerischen Frau oder des begehrenden Mannes hält Jamal für unsinnig. Eine Belehrung seiner - besonders der männlichen ! - Landsleute zu einem unverstellten Verhältnis der Geschlechter untereinander. Wie es in vor
islamischer Zeit für die Kurden - im Unterschied zu ihren Nachbarn - charakteristisch war. (Siehe auch das zur Tafel "Verbotene Liebe" Gesagte.)
Das Ei meint hier einen Träumer. Der schwebt im freien Raum zwischen dem (rotgelben) verzehrenden Feuer und dem (blauen) lebensspendenden Wasser. Jedenfalls bewegt er sich außerhalb der Realität mit ihren zweckvoll strukturierten Gesetzen (Schnurbespannung).
Die mineralische Zwischenfarbe des Edelsteins Türkis wechselt zwischen Blau (für Jamal die Farbe der Überzeugung) und Grün (allgemein die Farbe der Hoffnung). In ihrer schillernden Unentschlossenheit drückt sie die bedenkliche Lage des Traumwandlers zwischen den mentalen Zuständen aus.
Gemalt nach der Lektüre des berühmten, vom Dichter selbst illustrierten WeltraumMärchens gleichen Titels aus der Feder des französischen Flughelden Antoine de SaintExupery.
Dieses Bild gibt eine Zustandsbeschreibung. Es ist eine beliebige Straße in Deutschland oder sonstwo in Europa - jedenfalls nicht in Kurdistan. In einem Haus wohnen, wie am Klingelkasten abzulesen, zehn Mietparteien. Und wir erleben das Drama zwischen den Bewohnern mit.
Ganz oben sehen wir den Dr. Wolf : akademisch abgehoben, ist er einsam geblieben. Doch er bekommt alles mit und weiß genau, wer mit wem und wann und wo. Über alle erhaben, ist er selber unglücklich und ohne eigentlichen Lebenssinn.
Da gibt es, Mitte rechts, den alten Mann, der alle in Frieden läßt und selber auch in Frieden gelassen werden möchte. Darüber ein Pärchen in harmonischer Beziehung zueinander. Links zwei "Giftschlangen", die sich aufbäumen und überkreuzen. Unten links ganz still eine junge Frau mit Liebhaber.
Und dann wohnen da noch zwei Ausländer im Haus, ein Türke und ein Kurde, wie's der Zufall will. Der Gastarbeiter D. Atici und der Asylant Reso Servan (trotz seines Namens, der "Kämpfer" bedeutet) versuchen, miteinander zu reden. Beide hierzu
lande Fremde, suchen sie, die Animo- sitäten ihrer Völker überwindend, die Verständigung.
Eine ganz normale Geschichte. Im Exil in Deutschland.
Wie es die zum Bildgegenstand gewählte natürliche Körperlichkeit erfordert : ein Relief ! Die beiden Brustspitzen einer Frau - als Ich und als Wunsch - führen ein Zwiegespräch. Und Jamal?, ein Mann - er hätte nur zu gerne gewußt, was die beiden miteinander bereden.
Warum aber alles in Schwarz? Die Antwort zeigt unvermutet ein Stückchen muslimischer Tradition, eine Erinnerung an die Ebe, die Gewandung der konservativen islamischen Frau. Die schwarze Farbe des Tuches ist hier gemeint als Kennzeichen des Zustandes der Gefangenschaft des körperlichen und geistigen Ich und der Trauer darüber und des aussichtlosen Wunsches nach Emanzipation.
Eine Idee, an die man lange Zeit geglaubt hat, fängt an dahinzuschmelzen. Ein Mythos zerbröckelt. Auf einem roten, rechteckigen Podest steht der Mythos, zum Gott erhoben (ein ausdrücklicher Name wird nicht erwähnt). Drumherum die Anbetenden : sie haben ihre Köpfe geneigt, ja geradezu nach Straußenart in den Sand gesteckt.
Bei zunehmender Entfernung vom Numinosen wagen die Menschen, ihr Haupt zu heben; versuchen sie sich selbst zu orientieren; probieren sie den aufrechten Gang. Mit bemerkenswerter Rückwirkung : der Sockel-Block schmilzt. Ohne das ihm ergebene Volk ist der Mächtige in seiner Existenz gefährdet. Gott gibt es nur, wenn man an ihn glaubt.
Das Ei, das sich die Menschen - nach ihrem Bilde - zum Heiligtum erhoben haben, könnte sich als bloßer Popanz, als Windei erweisen. Aufklärung tut not! Die ist nach Immanuel Kant "der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit".
"Les grands ne sont grands parce que nous sommes ä genoux - levons-nous!", schrieb Louis Prudhomme : Die Großen sind nur groß, weil wir auf den Knien liegen - erheben wir uns !
Bombeneinschlag im Krieg oder Sylvester-Knallerei? Drei Tanzpaare mit lustigen Kappen feiern - ungeachtet dessen, was in der Welt um sie herum geschieht.
Die drei sternförmigen Explosionen kennzeichnen drei Unruheherde bei der Jahreswende 1992/93: Bosnien, Somalia, Kurdistan. Ein Momentan-Ausschnitt aus der gegenwärtigen politischen Lage. Und die Ignoranten tanzen dazu - einen Totentanz!
Ein ruhiges Gemälde der Dualität. Zwei Systeme von Saiten, über Dosen als Resonanzkörper gespannt, erzeugen Klänge. Deren Ausbreitung geschieht einmal wellenförmig zentrifugal (rechts, vom Betrachter aus gesehen), einmal diffus (links). Hier also sehr regelmäßig geordnet, dort nach Zufälligkeiten zerstreut.
Doch die Unterschiedlichkeit der Systeme ist komplementär. Die zwei Klänge ergänzen einander. Ohne die andere Hälfte wäre die eine bloß Torso, Fragment. Wahrscheinlich hat Jamal sich von der zoroastrischen Lehre anleiten lassen, die vom Widerstreit des Guten und des Bösen spricht. Dieses dualistische Prinzip erwähnt er gesprächsweise oft. Auch ohne religiösen Hintergrund, etwa wenn er ein kurdisches Sprichwort zitiert: "Die Berge sind unsere Feinde, aber sie sind auch unsere Freunde." (Gemeint : feindlich als karges, unwirtliches Land; freundlich als Zuflucht in der Not.) Auch seine Landsleute, die noch der jesidischen Religion angehören, erkennen neben dem Regelmäßigen und Schönen das Böse und Unberechenbare als Daseinsprinzip an (weshalb Verständnislose sie als "Teufelsanbeter" mißverstehen und diffamieren).
Auch solche Darstellungen von Zwischenzuständen sind für die Kunst von Jamal typisch. Wir sehen eine Verspannung wie diejenige der längsgespannten Kettfäden auf einem Webstuhl. (Und tatsächlich stammt diese Bildidee von dem Handwebstuhl eines älteren Bruders, der aus Stoffresten Teppiche wob.) Darunter erblicken wir - nicht recht deutlich - eine ovale Abhebung, umgeben von Farbpartikeln in schwer definierbarer Form. Ein unscharfer Traum.
In diesen hinein fährt ein blankes Messer. Noch hat es die Schnüre, die das Traumbild schützen, nicht eingeschnitten. Eine gefährliche Erwartungssituation.
Der Mensch (das Ei) sieht seinen Traum bedroht. Auf dem Messerknauf ist eine dämonische Physiognomie zu erahnen. In den frühlingshaften Wiesenblütenfarben bleibt der Mensch trotz der Bedrohung optimistisch. Das ist Jamal.
Urfa ist eine Stadt im türkisch besetzten Kurdistan. Ihr ursprünglicher Name lautet Reha. Die Stadt ist umgeben von niedrigen, wildgewachsenen Buschwäldern - eine Gegend, die die türkische Regierung bewußt unterentwickelt gelassen hat.
Auch die Menschen dort sind, fern der modernen Zivilisation, einfach, naiv und scheu geblieben.
Zwei junge Mädchen aus Urfa haben von Verwandten aus Deutschland ein Kästchen mit Schminke geschickt bekommen. Die probieren
sie nun, versteckt im Gebüsch, heimlich aus.
Eine kleine, melancholische und doch ein wenig beglückende Erzählung.
Die Geschichte eines europäischen Paares. Die beiden haben sich einmal sehr geliebt und darüber ihre Umwelt vergessen. Sie sind "ausgestiegen", innerlich ausgewandert, in die Toskana oder - sagen wir - auf eine Südsee-Insel entschwunden. Dort hocken sie nun, und ihre Insel, die Trauminsel, wurde ihnen inzwischen zum Gefängnis - dargestellt durch einen Staketenzaun aus langen Nägeln.
Man müßte entfliehen können, aber wie?, über den Zaun? Einer versucht's gerade. Wenn sie keinen Ausweg finden, werden sie spurlos untergehen, rückstandsfrei verschwinden wie in einem Loch (da ist es schon!).
Mitten im blauen, blauen Meer.
Das Bild dokumentiert die Unmöglichkeit des Paradieses auf Erden. Nicht nur der alt testamentliche Schöpfungsbericht, sondern auch andere, orientalische und afrikanische Weltentstehungsmythen kleiden die Idee dieses utopischen Anderswo in das Bild eines Gartens, abgeschlossen wie eine Insel. Auffällig übrigens, daß die biblische Beschreibung des Gartens Eden (Genesis 2, besonders Vers 15) ausdrücklich die mesopotamischen Flüsse Der Wortstamm - avetisch pairi-daeza = Umwallung, eingehegter Park - bezeugt, daß die Paradieses-Idee durchaus auf eine lokalisierbare irdische Konkretion gerichtet war. Erst im Christentum (Lukas-Evangelium 23, Vers 43) wird der Aufenthaltsort der Seligen ins Jenseits verlegt. Jamal aber hatte wohl mehr an eine Insel der Liebenden wie die sagenhafte griechische Aphrodite-Kultstätte Kythera gedacht.
Wenn die Kamele einer Karawane durch die Wüste schreiten, hinterlassen sie Spuren im Sand. Besonders im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris haben viele Karawanen, viele hindurchziehende Völker, viele erobernde Heere ihre Spuren hinterlassen. Und die dort ansässigen Kurden haben alles überstanden - jahrhundertelang und mal hierhin, mal dorthin sich verbündend.
Nur im historischen Augenblick der Bildung von Nationalstaaten in der Region haben sie ihre Chance zwischen den sich formierenden Ländern nicht wahrgenommen und damit verpaßt. Die Kurden, hier dargestellt durch aufrecht stehende Eier in der Trauerfarbe Schwarz - jetzt wurden sie Opfer ihrer instabilen Situation. Zertreten von der Ferse eines Nachbarn, der vormals mit größerer Rücksicht (auf Zehenspitzen, wie man sieht!) durch das kurdische Gebiet gegangen war. - Ein kurdischer Nationalstaat wäre - unbeschadet des ganz andersartigen, fortgeschritteneren Zeitgeschehens in Europa - eben jetzt eine historisch unerläßliche politische Notwendigkeit.
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
Ein weiches, weißes Gewölbe aus Stoff - empfindlich und rein. Auf ihm bewegen sich zwei zarte, heile Eier - ebenso sensibel und verletzlich. Feindlich dreinstoßende Fremdkörper, Projektile in der Form von starken Nägeln wollen die Fläche besetzen, treffen und zerstören eines der Eier, das ihnen schutzlos ausgeliefert ist. Sie stellen für Jamal alle die Eindringlinge dar, die den persönlichen Sicherheitsbereich der anderen mißachten : die Besatzer, die Eroberer, die Ausrotter und Töter - immer Männer...
Eine allgemein menschliche Allegorie. Ob sie auch etwas mit Kurdistan zu tun hat? Die verheerend eindringenden Nägel als die vier Besatzerstaaten Kurdistans?
Eine Erinnerung an die Kindheit auf dem Lande. In der Mitte des zu bearbeitenden Feldes setzt am Morgen der Vater den kleinen Jamal ab. Und beginnt, von zwei Maultieren unterstützt, sein Tagewerk, nämlich den Boden zu pflügen. Und der kleine Jamal spielt derweil mit der Erde, besieht sie, fühlt sie, riecht sie und nimmt auch dann und wann ein wenig davon in den Mund. Und bemerkt dabei, wie um ihn herum zusehends durch die gezogenen Ackerfurchen eine neue Welt entsteht. Und mit ihm mittendrin ! Der kleine Jamal als Mittelpunkt der Welt!
Die gelbe, bräunlich-rötliche Farbe des aufgeworfenen Erdreichs changiert je nach dem einfallenden Licht. Auch die Furchen dieses Bildes muß man natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln her ansehen. - Noch heute entstehen in Jamal beim Betrachten dieser Tafel der Geruch des frisch aufgebrochenen Erdbodens und der Duft der großen, weiten, heilen Welt der Kindheit. Und fraglos selbstverständlich die eigene kleine Person als Zentrum und Zweck und Sinn des Alls.
Ein Herz und seine zwei Seiten : die eine aufnehmend, in sich hineinsaugend; die andere abgebend, hervorspringend. Die formale Analogie mit und die gedankliche Assoziation zu Augen sind beabsichtigt : der Weg zwischen Auge und Herz ist für Jamal nicht weit.
Für Augen und Herz in gleicher Weise gibt es zweierlei Eindrücke : klar strukturierte, wie sie die strenge Fadenbespannung und die geschlossene Reihe der Eier in der einen Bildhälfte zeigen. Und unregelmäßig gebildete, wie sie die diagonalen Saiten ergeben, deren Formation durch die dazwischentretende Marschordnung der Eier erheblich beeinträchtigt wurde.
Gesicht und Gefühl sind für Jamal die zwei Hauptelemente der menschlichen Konstitution. Nicht von ohngefähr arbeitet er in einem Medium, das aufs Sehen angewiesen ist. Und nicht umsonst benutzt er sein bildnerisches Talent weniger zum mimetischen Abbilden von Wirklichkeit als vielmehr zum Visualisieren seiner Gedanken. Das ist im doppelten Sinne Imagination.
C'est vraiment lui.
Ein ähnliches Raster wie im vorigen Bild. Zwei Gruppen stehen sich diagonal gegenüber, die roten sind die heranmarschierenden Invasoren. Mitten im Haus der gegnerischen Population haben sie bereits ihren Spion plaziert.
Irgendwo auf dem weiten Meer treibt ein Floß mit einem Schatz - unter der Fadenbespannung erkennt man vage die Gestalt einer Frau; ein kastenf?rmiges Stück Schwamm enthält (vielleicht!) ein Geheimnis. Auf jeden Fall sollte man versuchen, es an Land zu ziehen. Eine kleine Träumerei.
Eine Friedenstaube : ihr Körper- und Kopfumriß ist als tauben-blaue Fläche auszumachen. Jedoch ihr gelber Schnabel ist nach innen, in den eigenen Leib hinein gerichtet. Ihm entströmt der titelgebende "rote Dunst".
Der verströmende, sich verflüchtigende rote Dunst symbolisiert, nach Jamal, zweierlei : Die Lüge des friedensbeteuernden Kommunismus. Und das Versagen der indoktrinierten europäischen Friedensbewegung. Schuld an der tödlichen Umkehr des Schnabels sind die
fünf reichsten Industrienationen, ihre blockierende Politik erscheint in Form von fünf dicken, großen Eiern. (Die anderen sind ohnehin nur noch als Fragmente, als Reste von Eierschalen existent.)
Wo bleibt die Friedensbewegung jetzt - angesichts der
Massaker in Bosnien zum Beispiel? Euphemistisch umschrieben als "ethnische Säuberung", wie sie sich wohl
auch der irakische Diktator für die Kurden vorstellen
mag. Eine sehr traurige Friedens. taube.
Ganz offensichtlich ein politisches Bild. Und doch - in seiner geschlossenen Form - ohne jegliche Aggression, eher bloß feststellend.
Den Inhalt kann jeder Betrachter selber herauslesen, die zusammengefügten Ingredienzien deuten : den mit Gewehrpatronen gespickten Thronstuhl des Diktators; dessen Umkippen wäre für ihn tödlich; doch die untergelegten Eier - Jamal nennt sie "die Heuchler" - wirken als Stützen des mörderischen Systems. Der Nein-Sager wird gehenkt; die Augen der Öffentlichkeit schauen zu : groß, neugierig, aber letztlich indifferent.
Machtbegierde, Positionsverteidigung, heuchlerische Dienstwilligkeit, Widerstandleisten und Zuschauen ohne eigenes Engagement - all dies sind menschliche Verhaltensweisen, daher hat Jamal sie mit
der Kontur eines Eies umrandet.
randet.
Das Bild konstatiert den Terror der Macht. Aus eigener, leidvoller Erfahrung verwendet Jamal die kurdischen Farben rot/weiß/grün.
Ein sehr friedvolles und poetisches Bild. Jamal hatte sich dabei mehrere passende Szenen gedacht : wenn zwei kleine Kinder schlafen und dann das eine erwacht und das andere noch nicht. Oder wenn Blumen im Garten stehen und die eine aufblüht, aber die zweite noch als Knospe verharrt. Situationen der Latenz.
Das zarte Aufbrechen aus diesem Zustand hat Jamal mit den für sein (Euvre typischen Bildgegenständen dargestellt: eines der beiden Eier hat die flächige, aber durchlässige Bespannung schon durchstoßen. Das zweite bleibt noch unter ihr verborgen, dem - in sinnfälliger Weise aus Eierschalenmaterial geschichteten - Urgrund näher.
Der Untertitel nimmt eine lyrische Passage aus Shakespeares "Romeo und Julia" auf, kehrt aber Julias (Selbst-) Täuschung um. Sehr wohl war es die morgenkündende Lerche, "die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang" !
Erwachen 1992
100 x 60 x 8 cm
"Kurdistan, min Beriya Te Kiriye" - ein Bild der Liebe und der Politik. Der deutsche Titel lautet: "Kurdistan, ich habe Sehnsucht nach dir! "
Eine politische Allegorie und ein persönliches Bekenntnis : rechts unten im Bildfeld findet sich ein StacheldrahtKalendarium mit zwölf Abschnitten. Es sind die Jahre 1980-92 in Jamals Biographie. Zwölf Jahre der Trennung von seinem Land und seiner Familie. Und die gegenwärtige Unmöglichkeit, dorthin zurückzukehren.
In einem großen SpinnenNetz sind die darin gefangenen Opfer durch Eier versinnbildlicht: neugeborene Kinder, im Moment der Namensgebung. Die Eierschalen sind beschriftet, auf der einen Seite mit kurdischen Namen, die durchgestrichen sind; auf der anderen mit türkischen. Man liest also "Bawer", "$ivan", "Delal" und andere u n erlaubte Namen, ersetzt durch erlaubte.
Nichts gegen jene anderen, die türkischen oder arabischen Namen! Aber w o - g e g e n Jamal unbedingt Stellung nehmen will, ist deren zwangsweise Einführung. Und das Verbot der eigensprachigen kurdischen. Gegen die Namensveränderung und gegen die damit einhergehende Identitätsveränderung ! (Ich erinnere daran, daß er selbst ja einen oktroyierten arabischsprachigen Namen trägt.)
Und jetzt kommt überhaupt das Schärfste ! Die NamensDiskriminierung setzt sich in deutschen Standesämtern fort : kurdische Eltern (beispielsweise türkischer Staatsangehörigkeit) dürfen ihren Kindern auch in Deutschland keine kurdischen Namen geben ! Die Standesämter besitzen eine Liste der türkischen Konsulate, in der alle offiziellen türkischen Namen verzeichnet sind. Dort nicht vorkommende Namen werden auf deutschen Standesämtern nicht vergeben!
Ja, bis zum Golfkrieg hin durfte sogar die ethnische Bezeichnung "Kurden" ("Kürtler") nicht in türkischen Medien verwendet werden. Kurdisch als Amtssprache ist seit Kemal Atatürk nicht erlaubt - die Existenz die
ses Volkes in der Türkei wurde jahrzehntelang schlichtweg geleugnet. Und das, obwohl den Kurden im Vertrag von Sevres (1920) eine autonome Region in Aussicht gestellt worden war. Und obwohl im Lausanner Friedensabkommen (von 1923) im § 39 steht : "jedem türkischen Staatsangehörigen wird hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache s e in e r W a h 1 in seinen privaten und geschäftlichen Beziehungen, in Presse, Publikationen und im öffentlichen Leben keinerlei Beschränkung auferlegt. " In Kurdistan sieht die Wirklichkeit anders aus, nicht nur im türkischen Teil.
Und in Deutschland im allgemeinen zur Zeit noch auch. Allein in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und - seit einigen Monaten - Hessen werden kurdische Namen akzeptiert. (Siehe hierzu "Kurdistan heute", Heft 4 vom Frühjahr '93.)
Ein drittes Beispiel für den eigentlich sehr privat-menschlichen und dennoch zugleich hochbrisant politischen Charakter der Arbeiten Jamals.
Abgebildet ist ein weiblicher Körper, zunächst anscheinend recht naturalistisch, jedoch beim näheren Betrachten mit bezeichnender Veränderung : den Busen dieser Frau, ihre weichste, zarteste Stelle, "umzäumt" (möchte man sagen) Stacheldraht. Der Körper, teils reliefartig (mit großen Eierschalenfragmenten) geformt, scheint (bei feinzerkleinertem Material) in der Bildfläche zu verschwinden.
Lauter Verbote ! Sogar die Liebe scheint sich zu entfernen, sich von selber zu verbieten. Wo um elementarste öffentliche Freiheit erst noch gekämpft werden muß, wird eine andere elementare Wesenheit: die Intimität der Geschlechter, die Liebe zum Problem.
Dazu noch eine besondere kultur-historische Anmerkung. Die altkurdischen Nomaden frauen hatten früher eine viel fester gestaltete soziale Rechtsstellung im Familien- und Stammesverband als jetzt unter islamisierten Verhältnissen. Die Kurden haben den Ruf, gegenüber ihren Frauen (im Vergleich zu den umliegenden Völkern) traditionell die freieste Einstellung zu praktizieren. Insofern ist auch das Selbstbewußtsein der kurdischen Frauen stärker ausgeprägt als bei
den Nachbarvölkern. (Das fällt besonders einem euro
päischen Beobachter sofort auf.) In der kurdischen un
abhängigen Republik Maha bad (1946-47 auf iranischem Gebiet) erhielten die Frauen zum Beispiel verfassungsmäßig ..mäßig dieselben Rechte wie die Männer.
Dementsprechend hoch ist die individuelle Rolle der
Liebe - und ihr politischer Stellenwert. Inder Wirklich
keit. Und natürlich in der Dichtung: ein Stück solcher
kollektiver und zugleich in dividueller politischer
Lie- beslyrik lautet : "Das Volk verblutet und wir mit ihm. Ihr werdet trotzdem nicht sterben. Ihr werdet ewig leben - Solange die Liebe
lebt."
Liebe und Politik! Jamal ist deutlich gesagt - der Meinung, daß also die heute bestehende Männergesellschaft auch durchbrochen werden müsse, weil sie nicht eigentlich kurdischen Ursprungs sei.
Solche Einflüsse müßten wieder abgebaut werden. (Da mögen seine kurdischen Geschlechtsgenossen noch anderer Meinung sein!) Es gehe, so Jamal, auch um einen i n n e r - kur d i s c h e n Veränderungs- und Lernprozeß. Um das ungezwungene menschliche Miteinander wieder natürlicher zu ermöglichen - auch im erotischen Sinne.
Das Bild zeigt drei Streifen, die vom Betrachter her in ein Zentrum führen. Diese drei Wege tragen die Farben rot/weiß/grün der kurdischen Fahne, und in der Mitte die gelbe Sonne. Die Symbolik ist derjenigen der europäischen Ikonologie vergleichbar: rot = Liebe/ Kampf, weiß = Reinheit und Unschuld, grün = Fruchtbarkeit und Hoffnung.
Allein schon diese Fahne als Bildinhalt bedeutet ein Politikum, ist sie doch nirgends offiziell deklariert - jedenfalls n o c h nicht. Aber sie wirkt bereits jetzt als anerkanntes Identifikations-Zeichen. Beweis : eine soeben in Deutschland neu erscheinende ExilZeitschrift "Kurdistan heute" hat sich diese Fahne, aber bezeichnenderweise in der künstlerischen Variation durch Jamal, zum Logo, zum Titel-Emblem ausgewählt.
Die von Jamal vorgenommene Veränderung nämlich ist ein Abbild der politischen Situation der Kurden: die nationalen Farb Wege sind mehrmals durch Stacheldraht unterbrochen. Das Ziel, ein (nicht zufällig) vulkan-förmiges "Nest" mit einem hoffnungs-grünen Ei darin, ist mit Stacheldraht überspannt: die Hoffnung, der Ursprung des Lebens ist gefangen. Überdies bildet dort der Stacheldraht ein Fadenkreuz : das heimatliche Nest als Ziel der kurdischen Hoffnung ist noch ein anderes Ziel : eins für feindlichen Beschuß !
Schließlich daneben ein Spiegel, in dem der Betrachter beim Anschauen - durch Stacheldraht hindurch ! - sich selbst erblickt : den Kurden geht es, wie j e d e m Menschen, der seine Freiheit n i c h t hat. Und das kann - wie der Lauf der Welt zu Genüge lehrt - einem jeden Menschen recht schnell passieren.
Ein kleines Detail zum Schluß als Beispiel für die wohldurchdachte Ausführung dieser Tafeln. Die Sonne in der Mitte der kurdischen Flagge hat achtzehn Strahlen. Das sind die achtzehn traditionellen Welayet, die historischen Fürstentümer Kurdistans. Das ist anscheinend sogar manchen für ihre politischen Rechte aktiv eintretenden Kurden nicht mehr geläufig. (Man zähle 'mal nach bei gelegentlichem "Fahnenhissen".)
Der Titel nennt zwei Menschen beim Namen, einen Jüngling Mem und ein Mädchen Zin, ein Paar, ein Liebespaar, die kurdischen Romeo und Julia. Ihre Geschichte, im 17. Jahrhundert erzählt von Ahmede Xane, verläuft jedoch etwas anders als in der Novelle der italienischen Renaissance oder im Trauerspiel von Shakespeare. Die kurdischen Protagonisten Mem und Zin müssen ihre Liebe verborgen halten. Dort, wo sie sich treffen - in Gestalt der beiden reinen, weißen Eier - überkreuzen sich die Verspannungen, die als die jeweiligen familiären Bindungen anzusehen sind, zu einem Gewebe von doppelter Dichte. Die beiden Liebenden sitzen hinter Fenstergittern, fast wie in Gefangenschaft. Besonders reizvoll an diesem Bild ist der ins Auge fallende Gegensatz zwischen strenger Linienführung
und expressiver Farbigkeit. Wie Lava nach einem Vulkanausbruch breiten sich die starkfarbigen Flüsse aus. Sie stellen die Naturkräfte dar : in Jamals Symbolik bezeichnet gelb/rot das Feuer und die Liebe, blau/türkis das Wasser und das Leben. Den formalen Gegensatz zwischen gewaltiger Eruption und geradem Lineament könnte Jamal dem "Wasserfall von Mäntykoski" des karelischen Symbolisten Axel Gallen abgeschaut haben. Dort überziehen fünf feine Parallelen als Versinnbildlichung der "großen Harfe der Natur" die schäumende Gischt des herabstürzenden Wasserfalls.
Hier handelt es sich aber um Jamals eigene Erfindung - eine moderne bildliche Version für verstecktgehaltene Liebe. Auch ein allegorisches Bild für die im europäischen Exil lebenden Kurden und ihre im Stillen genährte, unvergängliche Liebe zu ihrer traditionsreichen Heimat und Kultur..
Die Zeitrechnung der Kurden beginnt siebenhundert Jahre vor der unseren, man schreibt also gegenwärtig das Jahr 2693. Damals, zu Beginn der kurdischen Zeit, lebte der Kurdenkönig Dehak. Der litt unter einer merkwürdigen Pein, und zwar entwuchsen ihm aus seiner Brust zwei Schlangen, die seinen Körper zerbissen und fraßen. Ihr Hunger war anders nur durch die Darbringung von täglich zwei Hirnen von Kindern zu stillen. (Also eine TributSage wie um andere Ungeheuer in anderen vorder- und mittelasiatischen Mythologien und besonders in der griechischen auch: Minotauros auf Kreta, die Sphinx vor Theben.)
In kinderarmer Zeit (wieso erst dann?) lehnt das Volk sich auf, der Schmied namens Kawa bringt die königliche Ausgeburt um. Meldefeuer im Palast verkünden die Befreiung - Freudenfeuer in den Bergen, wohin man die Kinder gerettet hatte, antworten. Den Tag des Geschehens (nach unserem Kalender am 21. März) feiert man seitdem als Neujahrsanfang und Nationalfeiertag : Newroz.
Jamal hat die Sage und Geschichte wiederaufgegriffen und sie politisch aktualisiert. Er meint, der Dehak lebe noch - für die Kurden. Und zwar in mancherlei Gestalt : die Militärs in der Türkei, die Mullahs im Iran, der Diktator im Irak - das sind seine heutigen Inkarnationen.
Jamal hat ihn mit dem Kopf der Eule porträtiert : aus bluttriefenden Augen stiert uns der nächtliche Räuber an, die Schlangen entwinden sich wie Kainsmale den Federbüscheln auf der Stirn. Fast überflüssig zu sagen : auch den Kurden ist dieser Vogel unheimlich und gilt als unglückstiftendes und todbringendes Omen.
Fast wie bei einem doppelt belichteten Foto zeigt dieses Bild eine weibliche Brust und ein männliches Gesicht in einem: deren provokante Präsentation und dessen aufdringliches Glotzen.
Die Frage nach einer "Schuld" der verführerischen Frau oder des begehrenden Mannes hält Jamal für unsinnig. Eine Belehrung seiner - besonders der männlichen ! - Landsleute zu einem unverstellten Verhältnis der Geschlechter untereinander. Wie es in vor
islamischer Zeit für die Kurden - im Unterschied zu ihren Nachbarn - charakteristisch war. (Siehe auch das zur Tafel "Verbotene Liebe" Gesagte.)
Das Ei meint hier einen Träumer. Der schwebt im freien Raum zwischen dem (rotgelben) verzehrenden Feuer und dem (blauen) lebensspendenden Wasser. Jedenfalls bewegt er sich außerhalb der Realität mit ihren zweckvoll strukturierten Gesetzen (Schnurbespannung).
Die mineralische Zwischenfarbe des Edelsteins Türkis wechselt zwischen Blau (für Jamal die Farbe der Überzeugung) und Grün (allgemein die Farbe der Hoffnung). In ihrer schillernden Unentschlossenheit drückt sie die bedenkliche Lage des Traumwandlers zwischen den mentalen Zuständen aus.
Gemalt nach der Lektüre des berühmten, vom Dichter selbst illustrierten WeltraumMärchens gleichen Titels aus der Feder des französischen Flughelden Antoine de SaintExupery.
Dieses Bild gibt eine Zustandsbeschreibung. Es ist eine beliebige Straße in Deutschland oder sonstwo in Europa - jedenfalls nicht in Kurdistan. In einem Haus wohnen, wie am Klingelkasten abzulesen, zehn Mietparteien. Und wir erleben das Drama zwischen den Bewohnern mit.
Ganz oben sehen wir den Dr. Wolf : akademisch abgehoben, ist er einsam geblieben. Doch er bekommt alles mit und weiß genau, wer mit wem und wann und wo. Über alle erhaben, ist er selber unglücklich und ohne eigentlichen Lebenssinn.
Da gibt es, Mitte rechts, den alten Mann, der alle in Frieden läßt und selber auch in Frieden gelassen werden möchte. Darüber ein Pärchen in harmonischer Beziehung zueinander. Links zwei "Giftschlangen", die sich aufbäumen und überkreuzen. Unten links ganz still eine junge Frau mit Liebhaber.
Und dann wohnen da noch zwei Ausländer im Haus, ein Türke und ein Kurde, wie's der Zufall will. Der Gastarbeiter D. Atici und der Asylant Reso Servan (trotz seines Namens, der "Kämpfer" bedeutet) versuchen, miteinander zu reden. Beide hierzu
lande Fremde, suchen sie, die Animo- sitäten ihrer Völker überwindend, die Verständigung.
Eine ganz normale Geschichte. Im Exil in Deutschland.
Wie es die zum Bildgegenstand gewählte natürliche Körperlichkeit erfordert : ein Relief ! Die beiden Brustspitzen einer Frau - als Ich und als Wunsch - führen ein Zwiegespräch. Und Jamal?, ein Mann - er hätte nur zu gerne gewußt, was die beiden miteinander bereden.
Warum aber alles in Schwarz? Die Antwort zeigt unvermutet ein Stückchen muslimischer Tradition, eine Erinnerung an die Ebe, die Gewandung der konservativen islamischen Frau. Die schwarze Farbe des Tuches ist hier gemeint als Kennzeichen des Zustandes der Gefangenschaft des körperlichen und geistigen Ich und der Trauer darüber und des aussichtlosen Wunsches nach Emanzipation.
Eine Idee, an die man lange Zeit geglaubt hat, fängt an dahinzuschmelzen. Ein Mythos zerbröckelt. Auf einem roten, rechteckigen Podest steht der Mythos, zum Gott erhoben (ein ausdrücklicher Name wird nicht erwähnt). Drumherum die Anbetenden : sie haben ihre Köpfe geneigt, ja geradezu nach Straußenart in den Sand gesteckt.
Bei zunehmender Entfernung vom Numinosen wagen die Menschen, ihr Haupt zu heben; versuchen sie sich selbst zu orientieren; probieren sie den aufrechten Gang. Mit bemerkenswerter Rückwirkung : der Sockel-Block schmilzt. Ohne das ihm ergebene Volk ist der Mächtige in seiner Existenz gefährdet. Gott gibt es nur, wenn man an ihn glaubt.
Das Ei, das sich die Menschen - nach ihrem Bilde - zum Heiligtum erhoben haben, könnte sich als bloßer Popanz, als Windei erweisen. Aufklärung tut not! Die ist nach Immanuel Kant "der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit".
"Les grands ne sont grands parce que nous sommes ä genoux - levons-nous!", schrieb Louis Prudhomme : Die Großen sind nur groß, weil wir auf den Knien liegen - erheben wir uns !
Bombeneinschlag im Krieg oder Sylvester-Knallerei? Drei Tanzpaare mit lustigen Kappen feiern - ungeachtet dessen, was in der Welt um sie herum geschieht.
Die drei sternförmigen Explosionen kennzeichnen drei Unruheherde bei der Jahreswende 1992/93: Bosnien, Somalia, Kurdistan. Ein Momentan-Ausschnitt aus der gegenwärtigen politischen Lage. Und die Ignoranten tanzen dazu - einen Totentanz!
Ein ruhiges Gemälde der Dualität. Zwei Systeme von Saiten, über Dosen als Resonanzkörper gespannt, erzeugen Klänge. Deren Ausbreitung geschieht einmal wellenförmig zentrifugal (rechts, vom Betrachter aus gesehen), einmal diffus (links). Hier also sehr regelmäßig geordnet, dort nach Zufälligkeiten zerstreut.
Doch die Unterschiedlichkeit der Systeme ist komplementär. Die zwei Klänge ergänzen einander. Ohne die andere Hälfte wäre die eine bloß Torso, Fragment. Wahrscheinlich hat Jamal sich von der zoroastrischen Lehre anleiten lassen, die vom Widerstreit des Guten und des Bösen spricht. Dieses dualistische Prinzip erwähnt er gesprächsweise oft. Auch ohne religiösen Hintergrund, etwa wenn er ein kurdisches Sprichwort zitiert: "Die Berge sind unsere Feinde, aber sie sind auch unsere Freunde." (Gemeint : feindlich als karges, unwirtliches Land; freundlich als Zuflucht in der Not.) Auch seine Landsleute, die noch der jesidischen Religion angehören, erkennen neben dem Regelmäßigen und Schönen das Böse und Unberechenbare als Daseinsprinzip an (weshalb Verständnislose sie als "Teufelsanbeter" mißverstehen und diffamieren).
Auch solche Darstellungen von Zwischenzuständen sind für die Kunst von Jamal typisch. Wir sehen eine Verspannung wie diejenige der längsgespannten Kettfäden auf einem Webstuhl. (Und tatsächlich stammt diese Bildidee von dem Handwebstuhl eines älteren Bruders, der aus Stoffresten Teppiche wob.) Darunter erblicken wir - nicht recht deutlich - eine ovale Abhebung, umgeben von Farbpartikeln in schwer definierbarer Form. Ein unscharfer Traum.
In diesen hinein fährt ein blankes Messer. Noch hat es die Schnüre, die das Traumbild schützen, nicht eingeschnitten. Eine gefährliche Erwartungssituation.
Der Mensch (das Ei) sieht seinen Traum bedroht. Auf dem Messerknauf ist eine dämonische Physiognomie zu erahnen. In den frühlingshaften Wiesenblütenfarben bleibt der Mensch trotz der Bedrohung optimistisch. Das ist Jamal.
Urfa ist eine Stadt im türkisch besetzten Kurdistan. Ihr ursprünglicher Name lautet Reha. Die Stadt ist umgeben von niedrigen, wildgewachsenen Buschwäldern - eine Gegend, die die türkische Regierung bewußt unterentwickelt gelassen hat.
Auch die Menschen dort sind, fern der modernen Zivilisation, einfach, naiv und scheu geblieben.
Zwei junge Mädchen aus Urfa haben von Verwandten aus Deutschland ein Kästchen mit Schminke geschickt bekommen. Die probieren
sie nun, versteckt im Gebüsch, heimlich aus.
Eine kleine, melancholische und doch ein wenig beglückende Erzählung.
Die Geschichte eines europäischen Paares. Die beiden haben sich einmal sehr geliebt und darüber ihre Umwelt vergessen. Sie sind "ausgestiegen", innerlich ausgewandert, in die Toskana oder - sagen wir - auf eine Südsee-Insel entschwunden. Dort hocken sie nun, und ihre Insel, die Trauminsel, wurde ihnen inzwischen zum Gefängnis - dargestellt durch einen Staketenzaun aus langen Nägeln.
Man müßte entfliehen können, aber wie?, über den Zaun? Einer versucht's gerade. Wenn sie keinen Ausweg finden, werden sie spurlos untergehen, rückstandsfrei verschwinden wie in einem Loch (da ist es schon!).
Mitten im blauen, blauen Meer.
Das Bild dokumentiert die Unmöglichkeit des Paradieses auf Erden. Nicht nur der alt testamentliche Schöpfungsbericht, sondern auch andere, orientalische und afrikanische Weltentstehungsmythen kleiden die Idee dieses utopischen Anderswo in das Bild eines Gartens, abgeschlossen wie eine Insel. Auffällig übrigens, daß die biblische Beschreibung des Gartens Eden (Genesis 2, besonders Vers 15) ausdrücklich die mesopotamischen Flüsse Der Wortstamm - avetisch pairi-daeza = Umwallung, eingehegter Park - bezeugt, daß die Paradieses-Idee durchaus auf eine lokalisierbare irdische Konkretion gerichtet war. Erst im Christentum (Lukas-Evangelium 23, Vers 43) wird der Aufenthaltsort der Seligen ins Jenseits verlegt. Jamal aber hatte wohl mehr an eine Insel der Liebenden wie die sagenhafte griechische Aphrodite-Kultstätte Kythera gedacht.
Wenn die Kamele einer Karawane durch die Wüste schreiten, hinterlassen sie Spuren im Sand. Besonders im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris haben viele Karawanen, viele hindurchziehende Völker, viele erobernde Heere ihre Spuren hinterlassen. Und die dort ansässigen Kurden haben alles überstanden - jahrhundertelang und mal hierhin, mal dorthin sich verbündend.
Nur im historischen Augenblick der Bildung von Nationalstaaten in der Region haben sie ihre Chance zwischen den sich formierenden Ländern nicht wahrgenommen und damit verpaßt. Die Kurden, hier dargestellt durch aufrecht stehende Eier in der Trauerfarbe Schwarz - jetzt wurden sie Opfer ihrer instabilen Situation. Zertreten von der Ferse eines Nachbarn, der vormals mit größerer Rücksicht (auf Zehenspitzen, wie man sieht!) durch das kurdische Gebiet gegangen war. - Ein kurdischer Nationalstaat wäre - unbeschadet des ganz andersartigen, fortgeschritteneren Zeitgeschehens in Europa - eben jetzt eine historisch unerläßliche politische Notwendigkeit.
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
Ein weiches, weißes Gewölbe aus Stoff - empfindlich und rein. Auf ihm bewegen sich zwei zarte, heile Eier - ebenso sensibel und verletzlich. Feindlich dreinstoßende Fremdkörper, Projektile in der Form von starken Nägeln wollen die Fläche besetzen, treffen und zerstören eines der Eier, das ihnen schutzlos ausgeliefert ist. Sie stellen für Jamal alle die Eindringlinge dar, die den persönlichen Sicherheitsbereich der anderen mißachten : die Besatzer, die Eroberer, die Ausrotter und Töter - immer Männer...
Eine allgemein menschliche Allegorie. Ob sie auch etwas mit Kurdistan zu tun hat? Die verheerend eindringenden Nägel als die vier Besatzerstaaten Kurdistans?
Eine Erinnerung an die Kindheit auf dem Lande. In der Mitte des zu bearbeitenden Feldes setzt am Morgen der Vater den kleinen Jamal ab. Und beginnt, von zwei Maultieren unterstützt, sein Tagewerk, nämlich den Boden zu pflügen. Und der kleine Jamal spielt derweil mit der Erde, besieht sie, fühlt sie, riecht sie und nimmt auch dann und wann ein wenig davon in den Mund. Und bemerkt dabei, wie um ihn herum zusehends durch die gezogenen Ackerfurchen eine neue Welt entsteht. Und mit ihm mittendrin ! Der kleine Jamal als Mittelpunkt der Welt!
Die gelbe, bräunlich-rötliche Farbe des aufgeworfenen Erdreichs changiert je nach dem einfallenden Licht. Auch die Furchen dieses Bildes muß man natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln her ansehen. - Noch heute entstehen in Jamal beim Betrachten dieser Tafel der Geruch des frisch aufgebrochenen Erdbodens und der Duft der großen, weiten, heilen Welt der Kindheit. Und fraglos selbstverständlich die eigene kleine Person als Zentrum und Zweck und Sinn des Alls.
Ein Herz und seine zwei Seiten : die eine aufnehmend, in sich hineinsaugend; die andere abgebend, hervorspringend. Die formale Analogie mit und die gedankliche Assoziation zu Augen sind beabsichtigt : der Weg zwischen Auge und Herz ist für Jamal nicht weit.
Für Augen und Herz in gleicher Weise gibt es zweierlei Eindrücke : klar strukturierte, wie sie die strenge Fadenbespannung und die geschlossene Reihe der Eier in der einen Bildhälfte zeigen. Und unregelmäßig gebildete, wie sie die diagonalen Saiten ergeben, deren Formation durch die dazwischentretende Marschordnung der Eier erheblich beeinträchtigt wurde.
Gesicht und Gefühl sind für Jamal die zwei Hauptelemente der menschlichen Konstitution. Nicht von ohngefähr arbeitet er in einem Medium, das aufs Sehen angewiesen ist. Und nicht umsonst benutzt er sein bildnerisches Talent weniger zum mimetischen Abbilden von Wirklichkeit als vielmehr zum Visualisieren seiner Gedanken. Das ist im doppelten Sinne Imagination.
C'est vraiment lui.
Ein ähnliches Raster wie im vorigen Bild. Zwei Gruppen stehen sich diagonal gegenüber, die roten sind die heranmarschierenden Invasoren. Mitten im Haus der gegnerischen Population haben sie bereits ihren Spion plaziert.
Irgendwo auf dem weiten Meer treibt ein Floß mit einem Schatz - unter der Fadenbespannung erkennt man vage die Gestalt einer Frau; ein kastenf?rmiges Stück Schwamm enthält (vielleicht!) ein Geheimnis. Auf jeden Fall sollte man versuchen, es an Land zu ziehen. Eine kleine Träumerei.
Eine Friedenstaube : ihr Körper- und Kopfumriß ist als tauben-blaue Fläche auszumachen. Jedoch ihr gelber Schnabel ist nach innen, in den eigenen Leib hinein gerichtet. Ihm entströmt der titelgebende "rote Dunst".
Der verströmende, sich verflüchtigende rote Dunst symbolisiert, nach Jamal, zweierlei : Die Lüge des friedensbeteuernden Kommunismus. Und das Versagen der indoktrinierten europäischen Friedensbewegung. Schuld an der tödlichen Umkehr des Schnabels sind die
fünf reichsten Industrienationen, ihre blockierende Politik erscheint in Form von fünf dicken, großen Eiern. (Die anderen sind ohnehin nur noch als Fragmente, als Reste von Eierschalen existent.)
Wo bleibt die Friedensbewegung jetzt - angesichts der
Massaker in Bosnien zum Beispiel? Euphemistisch umschrieben als "ethnische Säuberung", wie sie sich wohl
auch der irakische Diktator für die Kurden vorstellen
mag. Eine sehr traurige Friedens. taube.
Ganz offensichtlich ein politisches Bild. Und doch - in seiner geschlossenen Form - ohne jegliche Aggression, eher bloß feststellend.
Den Inhalt kann jeder Betrachter selber herauslesen, die zusammengefügten Ingredienzien deuten : den mit Gewehrpatronen gespickten Thronstuhl des Diktators; dessen Umkippen wäre für ihn tödlich; doch die untergelegten Eier - Jamal nennt sie "die Heuchler" - wirken als Stützen des mörderischen Systems. Der Nein-Sager wird gehenkt; die Augen der Öffentlichkeit schauen zu : groß, neugierig, aber letztlich indifferent.
Machtbegierde, Positionsverteidigung, heuchlerische Dienstwilligkeit, Widerstandleisten und Zuschauen ohne eigenes Engagement - all dies sind menschliche Verhaltensweisen, daher hat Jamal sie mit
der Kontur eines Eies umrandet.
randet.
Das Bild konstatiert den Terror der Macht. Aus eigener, leidvoller Erfahrung verwendet Jamal die kurdischen Farben rot/weiß/grün.
Ein sehr friedvolles und poetisches Bild. Jamal hatte sich dabei mehrere passende Szenen gedacht : wenn zwei kleine Kinder schlafen und dann das eine erwacht und das andere noch nicht. Oder wenn Blumen im Garten stehen und die eine aufblüht, aber die zweite noch als Knospe verharrt. Situationen der Latenz.
Das zarte Aufbrechen aus diesem Zustand hat Jamal mit den für sein (Euvre typischen Bildgegenständen dargestellt: eines der beiden Eier hat die flächige, aber durchlässige Bespannung schon durchstoßen. Das zweite bleibt noch unter ihr verborgen, dem - in sinnfälliger Weise aus Eierschalenmaterial geschichteten - Urgrund näher.
Der Untertitel nimmt eine lyrische Passage aus Shakespeares "Romeo und Julia" auf, kehrt aber Julias (Selbst-) Täuschung um. Sehr wohl war es die morgenkündende Lerche, "die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang" !
Erwachen 1992
100 x 60 x 8 cm
"Kurdistan, min Beriya Te Kiriye" - ein Bild der Liebe und der Politik. Der deutsche Titel lautet: "Kurdistan, ich habe Sehnsucht nach dir! "
Eine politische Allegorie und ein persönliches Bekenntnis : rechts unten im Bildfeld findet sich ein StacheldrahtKalendarium mit zwölf Abschnitten. Es sind die Jahre 1980-92 in Jamals Biographie. Zwölf Jahre der Trennung von seinem Land und seiner Familie. Und die gegenwärtige Unmöglichkeit, dorthin zurückzukehren.
In einem großen SpinnenNetz sind die darin gefangenen Opfer durch Eier versinnbildlicht: neugeborene Kinder, im Moment der Namensgebung. Die Eierschalen sind beschriftet, auf der einen Seite mit kurdischen Namen, die durchgestrichen sind; auf der anderen mit türkischen. Man liest also "Bawer", "$ivan", "Delal" und andere u n erlaubte Namen, ersetzt durch erlaubte.
Nichts gegen jene anderen, die türkischen oder arabischen Namen! Aber w o - g e g e n Jamal unbedingt Stellung nehmen will, ist deren zwangsweise Einführung. Und das Verbot der eigensprachigen kurdischen. Gegen die Namensveränderung und gegen die damit einhergehende Identitätsveränderung ! (Ich erinnere daran, daß er selbst ja einen oktroyierten arabischsprachigen Namen trägt.)
Und jetzt kommt überhaupt das Schärfste ! Die NamensDiskriminierung setzt sich in deutschen Standesämtern fort : kurdische Eltern (beispielsweise türkischer Staatsangehörigkeit) dürfen ihren Kindern auch in Deutschland keine kurdischen Namen geben ! Die Standesämter besitzen eine Liste der türkischen Konsulate, in der alle offiziellen türkischen Namen verzeichnet sind. Dort nicht vorkommende Namen werden auf deutschen Standesämtern nicht vergeben!
Ja, bis zum Golfkrieg hin durfte sogar die ethnische Bezeichnung "Kurden" ("Kürtler") nicht in türkischen Medien verwendet werden. Kurdisch als Amtssprache ist seit Kemal Atatürk nicht erlaubt - die Existenz die
ses Volkes in der Türkei wurde jahrzehntelang schlichtweg geleugnet. Und das, obwohl den Kurden im Vertrag von Sevres (1920) eine autonome Region in Aussicht gestellt worden war. Und obwohl im Lausanner Friedensabkommen (von 1923) im § 39 steht : "jedem türkischen Staatsangehörigen wird hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache s e in e r W a h 1 in seinen privaten und geschäftlichen Beziehungen, in Presse, Publikationen und im öffentlichen Leben keinerlei Beschränkung auferlegt. " In Kurdistan sieht die Wirklichkeit anders aus, nicht nur im türkischen Teil.
Und in Deutschland im allgemeinen zur Zeit noch auch. Allein in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und - seit einigen Monaten - Hessen werden kurdische Namen akzeptiert. (Siehe hierzu "Kurdistan heute", Heft 4 vom Frühjahr '93.)
Ein drittes Beispiel für den eigentlich sehr privat-menschlichen und dennoch zugleich hochbrisant politischen Charakter der Arbeiten Jamals.
Abgebildet ist ein weiblicher Körper, zunächst anscheinend recht naturalistisch, jedoch beim näheren Betrachten mit bezeichnender Veränderung : den Busen dieser Frau, ihre weichste, zarteste Stelle, "umzäumt" (möchte man sagen) Stacheldraht. Der Körper, teils reliefartig (mit großen Eierschalenfragmenten) geformt, scheint (bei feinzerkleinertem Material) in der Bildfläche zu verschwinden.
Lauter Verbote ! Sogar die Liebe scheint sich zu entfernen, sich von selber zu verbieten. Wo um elementarste öffentliche Freiheit erst noch gekämpft werden muß, wird eine andere elementare Wesenheit: die Intimität der Geschlechter, die Liebe zum Problem.
Dazu noch eine besondere kultur-historische Anmerkung. Die altkurdischen Nomaden frauen hatten früher eine viel fester gestaltete soziale Rechtsstellung im Familien- und Stammesverband als jetzt unter islamisierten Verhältnissen. Die Kurden haben den Ruf, gegenüber ihren Frauen (im Vergleich zu den umliegenden Völkern) traditionell die freieste Einstellung zu praktizieren. Insofern ist auch das Selbstbewußtsein der kurdischen Frauen stärker ausgeprägt als bei
den Nachbarvölkern. (Das fällt besonders einem euro
päischen Beobachter sofort auf.) In der kurdischen un
abhängigen Republik Maha bad (1946-47 auf iranischem Gebiet) erhielten die Frauen zum Beispiel verfassungsmäßig ..mäßig dieselben Rechte wie die Männer.
Dementsprechend hoch ist die individuelle Rolle der
Liebe - und ihr politischer Stellenwert. Inder Wirklich
keit. Und natürlich in der Dichtung: ein Stück solcher
kollektiver und zugleich in dividueller politischer
Lie- beslyrik lautet : "Das Volk verblutet und wir mit ihm. Ihr werdet trotzdem nicht sterben. Ihr werdet ewig leben - Solange die Liebe
lebt."
Liebe und Politik! Jamal ist deutlich gesagt - der Meinung, daß also die heute bestehende Männergesellschaft auch durchbrochen werden müsse, weil sie nicht eigentlich kurdischen Ursprungs sei.
Solche Einflüsse müßten wieder abgebaut werden. (Da mögen seine kurdischen Geschlechtsgenossen noch anderer Meinung sein!) Es gehe, so Jamal, auch um einen i n n e r - kur d i s c h e n Veränderungs- und Lernprozeß. Um das ungezwungene menschliche Miteinander wieder natürlicher zu ermöglichen - auch im erotischen Sinne.
Das Bild zeigt drei Streifen, die vom Betrachter her in ein Zentrum führen. Diese drei Wege tragen die Farben rot/weiß/grün der kurdischen Fahne, und in der Mitte die gelbe Sonne. Die Symbolik ist derjenigen der europäischen Ikonologie vergleichbar: rot = Liebe/ Kampf, weiß = Reinheit und Unschuld, grün = Fruchtbarkeit und Hoffnung.
Allein schon diese Fahne als Bildinhalt bedeutet ein Politikum, ist sie doch nirgends offiziell deklariert - jedenfalls n o c h nicht. Aber sie wirkt bereits jetzt als anerkanntes Identifikations-Zeichen. Beweis : eine soeben in Deutschland neu erscheinende ExilZeitschrift "Kurdistan heute" hat sich diese Fahne, aber bezeichnenderweise in der künstlerischen Variation durch Jamal, zum Logo, zum Titel-Emblem ausgewählt.
Die von Jamal vorgenommene Veränderung nämlich ist ein Abbild der politischen Situation der Kurden: die nationalen Farb Wege sind mehrmals durch Stacheldraht unterbrochen. Das Ziel, ein (nicht zufällig) vulkan-förmiges "Nest" mit einem hoffnungs-grünen Ei darin, ist mit Stacheldraht überspannt: die Hoffnung, der Ursprung des Lebens ist gefangen. Überdies bildet dort der Stacheldraht ein Fadenkreuz : das heimatliche Nest als Ziel der kurdischen Hoffnung ist noch ein anderes Ziel : eins für feindlichen Beschuß !
Schließlich daneben ein Spiegel, in dem der Betrachter beim Anschauen - durch Stacheldraht hindurch ! - sich selbst erblickt : den Kurden geht es, wie j e d e m Menschen, der seine Freiheit n i c h t hat. Und das kann - wie der Lauf der Welt zu Genüge lehrt - einem jeden Menschen recht schnell passieren.
Ein kleines Detail zum Schluß als Beispiel für die wohldurchdachte Ausführung dieser Tafeln. Die Sonne in der Mitte der kurdischen Flagge hat achtzehn Strahlen. Das sind die achtzehn traditionellen Welayet, die historischen Fürstentümer Kurdistans. Das ist anscheinend sogar manchen für ihre politischen Rechte aktiv eintretenden Kurden nicht mehr geläufig. (Man zähle 'mal nach bei gelegentlichem "Fahnenhissen".)
Der Titel nennt zwei Menschen beim Namen, einen Jüngling Mem und ein Mädchen Zin, ein Paar, ein Liebespaar, die kurdischen Romeo und Julia. Ihre Geschichte, im 17. Jahrhundert erzählt von Ahmede Xane, verläuft jedoch etwas anders als in der Novelle der italienischen Renaissance oder im Trauerspiel von Shakespeare. Die kurdischen Protagonisten Mem und Zin müssen ihre Liebe verborgen halten. Dort, wo sie sich treffen - in Gestalt der beiden reinen, weißen Eier - überkreuzen sich die Verspannungen, die als die jeweiligen familiären Bindungen anzusehen sind, zu einem Gewebe von doppelter Dichte. Die beiden Liebenden sitzen hinter Fenstergittern, fast wie in Gefangenschaft. Besonders reizvoll an diesem Bild ist der ins Auge fallende Gegensatz zwischen strenger Linienführung
und expressiver Farbigkeit. Wie Lava nach einem Vulkanausbruch breiten sich die starkfarbigen Flüsse aus. Sie stellen die Naturkräfte dar : in Jamals Symbolik bezeichnet gelb/rot das Feuer und die Liebe, blau/türkis das Wasser und das Leben. Den formalen Gegensatz zwischen gewaltiger Eruption und geradem Lineament könnte Jamal dem "Wasserfall von Mäntykoski" des karelischen Symbolisten Axel Gallen abgeschaut haben. Dort überziehen fünf feine Parallelen als Versinnbildlichung der "großen Harfe der Natur" die schäumende Gischt des herabstürzenden Wasserfalls.
Hier handelt es sich aber um Jamals eigene Erfindung - eine moderne bildliche Version für verstecktgehaltene Liebe. Auch ein allegorisches Bild für die im europäischen Exil lebenden Kurden und ihre im Stillen genährte, unvergängliche Liebe zu ihrer traditionsreichen Heimat und Kultur..
Die Zeitrechnung der Kurden beginnt siebenhundert Jahre vor der unseren, man schreibt also gegenwärtig das Jahr 2693. Damals, zu Beginn der kurdischen Zeit, lebte der Kurdenkönig Dehak. Der litt unter einer merkwürdigen Pein, und zwar entwuchsen ihm aus seiner Brust zwei Schlangen, die seinen Körper zerbissen und fraßen. Ihr Hunger war anders nur durch die Darbringung von täglich zwei Hirnen von Kindern zu stillen. (Also eine TributSage wie um andere Ungeheuer in anderen vorder- und mittelasiatischen Mythologien und besonders in der griechischen auch: Minotauros auf Kreta, die Sphinx vor Theben.)
In kinderarmer Zeit (wieso erst dann?) lehnt das Volk sich auf, der Schmied namens Kawa bringt die königliche Ausgeburt um. Meldefeuer im Palast verkünden die Befreiung - Freudenfeuer in den Bergen, wohin man die Kinder gerettet hatte, antworten. Den Tag des Geschehens (nach unserem Kalender am 21. März) feiert man seitdem als Neujahrsanfang und Nationalfeiertag : Newroz.
Jamal hat die Sage und Geschichte wiederaufgegriffen und sie politisch aktualisiert. Er meint, der Dehak lebe noch - für die Kurden. Und zwar in mancherlei Gestalt : die Militärs in der Türkei, die Mullahs im Iran, der Diktator im Irak - das sind seine heutigen Inkarnationen.
Jamal hat ihn mit dem Kopf der Eule porträtiert : aus bluttriefenden Augen stiert uns der nächtliche Räuber an, die Schlangen entwinden sich wie Kainsmale den Federbüscheln auf der Stirn. Fast überflüssig zu sagen : auch den Kurden ist dieser Vogel unheimlich und gilt als unglückstiftendes und todbringendes Omen.
Fast wie bei einem doppelt belichteten Foto zeigt dieses Bild eine weibliche Brust und ein männliches Gesicht in einem: deren provokante Präsentation und dessen aufdringliches Glotzen.
Die Frage nach einer "Schuld" der verführerischen Frau oder des begehrenden Mannes hält Jamal für unsinnig. Eine Belehrung seiner - besonders der männlichen ! - Landsleute zu einem unverstellten Verhältnis der Geschlechter untereinander. Wie es in vor
islamischer Zeit für die Kurden - im Unterschied zu ihren Nachbarn - charakteristisch war. (Siehe auch das zur Tafel "Verbotene Liebe" Gesagte.)
Das Ei meint hier einen Träumer. Der schwebt im freien Raum zwischen dem (rotgelben) verzehrenden Feuer und dem (blauen) lebensspendenden Wasser. Jedenfalls bewegt er sich außerhalb der Realität mit ihren zweckvoll strukturierten Gesetzen (Schnurbespannung).
Die mineralische Zwischenfarbe des Edelsteins Türkis wechselt zwischen Blau (für Jamal die Farbe der Überzeugung) und Grün (allgemein die Farbe der Hoffnung). In ihrer schillernden Unentschlossenheit drückt sie die bedenkliche Lage des Traumwandlers zwischen den mentalen Zuständen aus.
Gemalt nach der Lektüre des berühmten, vom Dichter selbst illustrierten WeltraumMärchens gleichen Titels aus der Feder des französischen Flughelden Antoine de SaintExupery.
Dieses Bild gibt eine Zustandsbeschreibung. Es ist eine beliebige Straße in Deutschland oder sonstwo in Europa - jedenfalls nicht in Kurdistan. In einem Haus wohnen, wie am Klingelkasten abzulesen, zehn Mietparteien. Und wir erleben das Drama zwischen den Bewohnern mit.
Ganz oben sehen wir den Dr. Wolf : akademisch abgehoben, ist er einsam geblieben. Doch er bekommt alles mit und weiß genau, wer mit wem und wann und wo. Über alle erhaben, ist er selber unglücklich und ohne eigentlichen Lebenssinn.
Da gibt es, Mitte rechts, den alten Mann, der alle in Frieden läßt und selber auch in Frieden gelassen werden möchte. Darüber ein Pärchen in harmonischer Beziehung zueinander. Links zwei "Giftschlangen", die sich aufbäumen und überkreuzen. Unten links ganz still eine junge Frau mit Liebhaber.
Und dann wohnen da noch zwei Ausländer im Haus, ein Türke und ein Kurde, wie's der Zufall will. Der Gastarbeiter D. Atici und der Asylant Reso Servan (trotz seines Namens, der "Kämpfer" bedeutet) versuchen, miteinander zu reden. Beide hierzu
lande Fremde, suchen sie, die Animo- sitäten ihrer Völker überwindend, die Verständigung.
Eine ganz normale Geschichte. Im Exil in Deutschland.
Wie es die zum Bildgegenstand gewählte natürliche Körperlichkeit erfordert : ein Relief ! Die beiden Brustspitzen einer Frau - als Ich und als Wunsch - führen ein Zwiegespräch. Und Jamal?, ein Mann - er hätte nur zu gerne gewußt, was die beiden miteinander bereden.
Warum aber alles in Schwarz? Die Antwort zeigt unvermutet ein Stückchen muslimischer Tradition, eine Erinnerung an die Ebe, die Gewandung der konservativen islamischen Frau. Die schwarze Farbe des Tuches ist hier gemeint als Kennzeichen des Zustandes der Gefangenschaft des körperlichen und geistigen Ich und der Trauer darüber und des aussichtlosen Wunsches nach Emanzipation.
Eine Idee, an die man lange Zeit geglaubt hat, fängt an dahinzuschmelzen. Ein Mythos zerbröckelt. Auf einem roten, rechteckigen Podest steht der Mythos, zum Gott erhoben (ein ausdrücklicher Name wird nicht erwähnt). Drumherum die Anbetenden : sie haben ihre Köpfe geneigt, ja geradezu nach Straußenart in den Sand gesteckt.
Bei zunehmender Entfernung vom Numinosen wagen die Menschen, ihr Haupt zu heben; versuchen sie sich selbst zu orientieren; probieren sie den aufrechten Gang. Mit bemerkenswerter Rückwirkung : der Sockel-Block schmilzt. Ohne das ihm ergebene Volk ist der Mächtige in seiner Existenz gefährdet. Gott gibt es nur, wenn man an ihn glaubt.
Das Ei, das sich die Menschen - nach ihrem Bilde - zum Heiligtum erhoben haben, könnte sich als bloßer Popanz, als Windei erweisen. Aufklärung tut not! Die ist nach Immanuel Kant "der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit".
"Les grands ne sont grands parce que nous sommes ä genoux - levons-nous!", schrieb Louis Prudhomme : Die Großen sind nur groß, weil wir auf den Knien liegen - erheben wir uns !
Bombeneinschlag im Krieg oder Sylvester-Knallerei? Drei Tanzpaare mit lustigen Kappen feiern - ungeachtet dessen, was in der Welt um sie herum geschieht.
Die drei sternförmigen Explosionen kennzeichnen drei Unruheherde bei der Jahreswende 1992/93: Bosnien, Somalia, Kurdistan. Ein Momentan-Ausschnitt aus der gegenwärtigen politischen Lage. Und die Ignoranten tanzen dazu - einen Totentanz!
Ein ruhiges Gemälde der Dualität. Zwei Systeme von Saiten, über Dosen als Resonanzkörper gespannt, erzeugen Klänge. Deren Ausbreitung geschieht einmal wellenförmig zentrifugal (rechts, vom Betrachter aus gesehen), einmal diffus (links). Hier also sehr regelmäßig geordnet, dort nach Zufälligkeiten zerstreut.
Doch die Unterschiedlichkeit der Systeme ist komplementär. Die zwei Klänge ergänzen einander. Ohne die andere Hälfte wäre die eine bloß Torso, Fragment. Wahrscheinlich hat Jamal sich von der zoroastrischen Lehre anleiten lassen, die vom Widerstreit des Guten und des Bösen spricht. Dieses dualistische Prinzip erwähnt er gesprächsweise oft. Auch ohne religiösen Hintergrund, etwa wenn er ein kurdisches Sprichwort zitiert: "Die Berge sind unsere Feinde, aber sie sind auch unsere Freunde." (Gemeint : feindlich als karges, unwirtliches Land; freundlich als Zuflucht in der Not.) Auch seine Landsleute, die noch der jesidischen Religion angehören, erkennen neben dem Regelmäßigen und Schönen das Böse und Unberechenbare als Daseinsprinzip an (weshalb Verständnislose sie als "Teufelsanbeter" mißverstehen und diffamieren).
Auch solche Darstellungen von Zwischenzuständen sind für die Kunst von Jamal typisch. Wir sehen eine Verspannung wie diejenige der längsgespannten Kettfäden auf einem Webstuhl. (Und tatsächlich stammt diese Bildidee von dem Handwebstuhl eines älteren Bruders, der aus Stoffresten Teppiche wob.) Darunter erblicken wir - nicht recht deutlich - eine ovale Abhebung, umgeben von Farbpartikeln in schwer definierbarer Form. Ein unscharfer Traum.
In diesen hinein fährt ein blankes Messer. Noch hat es die Schnüre, die das Traumbild schützen, nicht eingeschnitten. Eine gefährliche Erwartungssituation.
Der Mensch (das Ei) sieht seinen Traum bedroht. Auf dem Messerknauf ist eine dämonische Physiognomie zu erahnen. In den frühlingshaften Wiesenblütenfarben bleibt der Mensch trotz der Bedrohung optimistisch. Das ist Jamal.
Urfa ist eine Stadt im türkisch besetzten Kurdistan. Ihr ursprünglicher Name lautet Reha. Die Stadt ist umgeben von niedrigen, wildgewachsenen Buschwäldern - eine Gegend, die die türkische Regierung bewußt unterentwickelt gelassen hat.
Auch die Menschen dort sind, fern der modernen Zivilisation, einfach, naiv und scheu geblieben.
Zwei junge Mädchen aus Urfa haben von Verwandten aus Deutschland ein Kästchen mit Schminke geschickt bekommen. Die probieren
sie nun, versteckt im Gebüsch, heimlich aus.
Eine kleine, melancholische und doch ein wenig beglückende Erzählung.
Die Geschichte eines europäischen Paares. Die beiden haben sich einmal sehr geliebt und darüber ihre Umwelt vergessen. Sie sind "ausgestiegen", innerlich ausgewandert, in die Toskana oder - sagen wir - auf eine Südsee-Insel entschwunden. Dort hocken sie nun, und ihre Insel, die Trauminsel, wurde ihnen inzwischen zum Gefängnis - dargestellt durch einen Staketenzaun aus langen Nägeln.
Man müßte entfliehen können, aber wie?, über den Zaun? Einer versucht's gerade. Wenn sie keinen Ausweg finden, werden sie spurlos untergehen, rückstandsfrei verschwinden wie in einem Loch (da ist es schon!).
Mitten im blauen, blauen Meer.
Das Bild dokumentiert die Unmöglichkeit des Paradieses auf Erden. Nicht nur der alt testamentliche Schöpfungsbericht, sondern auch andere, orientalische und afrikanische Weltentstehungsmythen kleiden die Idee dieses utopischen Anderswo in das Bild eines Gartens, abgeschlossen wie eine Insel. Auffällig übrigens, daß die biblische Beschreibung des Gartens Eden (Genesis 2, besonders Vers 15) ausdrücklich die mesopotamischen Flüsse Der Wortstamm - avetisch pairi-daeza = Umwallung, eingehegter Park - bezeugt, daß die Paradieses-Idee durchaus auf eine lokalisierbare irdische Konkretion gerichtet war. Erst im Christentum (Lukas-Evangelium 23, Vers 43) wird der Aufenthaltsort der Seligen ins Jenseits verlegt. Jamal aber hatte wohl mehr an eine Insel der Liebenden wie die sagenhafte griechische Aphrodite-Kultstätte Kythera gedacht.
Wenn die Kamele einer Karawane durch die Wüste schreiten, hinterlassen sie Spuren im Sand. Besonders im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris haben viele Karawanen, viele hindurchziehende Völker, viele erobernde Heere ihre Spuren hinterlassen. Und die dort ansässigen Kurden haben alles überstanden - jahrhundertelang und mal hierhin, mal dorthin sich verbündend.
Nur im historischen Augenblick der Bildung von Nationalstaaten in der Region haben sie ihre Chance zwischen den sich formierenden Ländern nicht wahrgenommen und damit verpaßt. Die Kurden, hier dargestellt durch aufrecht stehende Eier in der Trauerfarbe Schwarz - jetzt wurden sie Opfer ihrer instabilen Situation. Zertreten von der Ferse eines Nachbarn, der vormals mit größerer Rücksicht (auf Zehenspitzen, wie man sieht!) durch das kurdische Gebiet gegangen war. - Ein kurdischer Nationalstaat wäre - unbeschadet des ganz andersartigen, fortgeschritteneren Zeitgeschehens in Europa - eben jetzt eine historisch unerläßliche politische Notwendigkeit.
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
Ein weiches, weißes Gewölbe aus Stoff - empfindlich und rein. Auf ihm bewegen sich zwei zarte, heile Eier - ebenso sensibel und verletzlich. Feindlich dreinstoßende Fremdkörper, Projektile in der Form von starken Nägeln wollen die Fläche besetzen, treffen und zerstören eines der Eier, das ihnen schutzlos ausgeliefert ist. Sie stellen für Jamal alle die Eindringlinge dar, die den persönlichen Sicherheitsbereich der anderen mißachten : die Besatzer, die Eroberer, die Ausrotter und Töter - immer Männer...
Eine allgemein menschliche Allegorie. Ob sie auch etwas mit Kurdistan zu tun hat? Die verheerend eindringenden Nägel als die vier Besatzerstaaten Kurdistans?
Eine Erinnerung an die Kindheit auf dem Lande. In der Mitte des zu bearbeitenden Feldes setzt am Morgen der Vater den kleinen Jamal ab. Und beginnt, von zwei Maultieren unterstützt, sein Tagewerk, nämlich den Boden zu pflügen. Und der kleine Jamal spielt derweil mit der Erde, besieht sie, fühlt sie, riecht sie und nimmt auch dann und wann ein wenig davon in den Mund. Und bemerkt dabei, wie um ihn herum zusehends durch die gezogenen Ackerfurchen eine neue Welt entsteht. Und mit ihm mittendrin ! Der kleine Jamal als Mittelpunkt der Welt!
Die gelbe, bräunlich-rötliche Farbe des aufgeworfenen Erdreichs changiert je nach dem einfallenden Licht. Auch die Furchen dieses Bildes muß man natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln her ansehen. - Noch heute entstehen in Jamal beim Betrachten dieser Tafel der Geruch des frisch aufgebrochenen Erdbodens und der Duft der großen, weiten, heilen Welt der Kindheit. Und fraglos selbstverständlich die eigene kleine Person als Zentrum und Zweck und Sinn des Alls.
Ein Herz und seine zwei Seiten : die eine aufnehmend, in sich hineinsaugend; die andere abgebend, hervorspringend. Die formale Analogie mit und die gedankliche Assoziation zu Augen sind beabsichtigt : der Weg zwischen Auge und Herz ist für Jamal nicht weit.
Für Augen und Herz in gleicher Weise gibt es zweierlei Eindrücke : klar strukturierte, wie sie die strenge Fadenbespannung und die geschlossene Reihe der Eier in der einen Bildhälfte zeigen. Und unregelmäßig gebildete, wie sie die diagonalen Saiten ergeben, deren Formation durch die dazwischentretende Marschordnung der Eier erheblich beeinträchtigt wurde.
Gesicht und Gefühl sind für Jamal die zwei Hauptelemente der menschlichen Konstitution. Nicht von ohngefähr arbeitet er in einem Medium, das aufs Sehen angewiesen ist. Und nicht umsonst benutzt er sein bildnerisches Talent weniger zum mimetischen Abbilden von Wirklichkeit als vielmehr zum Visualisieren seiner Gedanken. Das ist im doppelten Sinne Imagination.
C'est vraiment lui.
Ein ähnliches Raster wie im vorigen Bild. Zwei Gruppen stehen sich diagonal gegenüber, die roten sind die heranmarschierenden Invasoren. Mitten im Haus der gegnerischen Population haben sie bereits ihren Spion plaziert.
Irgendwo auf dem weiten Meer treibt ein Floß mit einem Schatz - unter der Fadenbespannung erkennt man vage die Gestalt einer Frau; ein kastenf?rmiges Stück Schwamm enthält (vielleicht!) ein Geheimnis. Auf jeden Fall sollte man versuchen, es an Land zu ziehen. Eine kleine Träumerei.
Eine Friedenstaube : ihr Körper- und Kopfumriß ist als tauben-blaue Fläche auszumachen. Jedoch ihr gelber Schnabel ist nach innen, in den eigenen Leib hinein gerichtet. Ihm entströmt der titelgebende "rote Dunst".
Der verströmende, sich verflüchtigende rote Dunst symbolisiert, nach Jamal, zweierlei : Die Lüge des friedensbeteuernden Kommunismus. Und das Versagen der indoktrinierten europäischen Friedensbewegung. Schuld an der tödlichen Umkehr des Schnabels sind die
fünf reichsten Industrienationen, ihre blockierende Politik erscheint in Form von fünf dicken, großen Eiern. (Die anderen sind ohnehin nur noch als Fragmente, als Reste von Eierschalen existent.)
Wo bleibt die Friedensbewegung jetzt - angesichts der
Massaker in Bosnien zum Beispiel? Euphemistisch umschrieben als "ethnische Säuberung", wie sie sich wohl
auch der irakische Diktator für die Kurden vorstellen
mag. Eine sehr traurige Friedens. taube.
Ganz offensichtlich ein politisches Bild. Und doch - in seiner geschlossenen Form - ohne jegliche Aggression, eher bloß feststellend.
Den Inhalt kann jeder Betrachter selber herauslesen, die zusammengefügten Ingredienzien deuten : den mit Gewehrpatronen gespickten Thronstuhl des Diktators; dessen Umkippen wäre für ihn tödlich; doch die untergelegten Eier - Jamal nennt sie "die Heuchler" - wirken als Stützen des mörderischen Systems. Der Nein-Sager wird gehenkt; die Augen der Öffentlichkeit schauen zu : groß, neugierig, aber letztlich indifferent.
Machtbegierde, Positionsverteidigung, heuchlerische Dienstwilligkeit, Widerstandleisten und Zuschauen ohne eigenes Engagement - all dies sind menschliche Verhaltensweisen, daher hat Jamal sie mit
der Kontur eines Eies umrandet.
randet.
Das Bild konstatiert den Terror der Macht. Aus eigener, leidvoller Erfahrung verwendet Jamal die kurdischen Farben rot/weiß/grün.
Ein sehr friedvolles und poetisches Bild. Jamal hatte sich dabei mehrere passende Szenen gedacht : wenn zwei kleine Kinder schlafen und dann das eine erwacht und das andere noch nicht. Oder wenn Blumen im Garten stehen und die eine aufblüht, aber die zweite noch als Knospe verharrt. Situationen der Latenz.
Das zarte Aufbrechen aus diesem Zustand hat Jamal mit den für sein (Euvre typischen Bildgegenständen dargestellt: eines der beiden Eier hat die flächige, aber durchlässige Bespannung schon durchstoßen. Das zweite bleibt noch unter ihr verborgen, dem - in sinnfälliger Weise aus Eierschalenmaterial geschichteten - Urgrund näher.
Der Untertitel nimmt eine lyrische Passage aus Shakespeares "Romeo und Julia" auf, kehrt aber Julias (Selbst-) Täuschung um. Sehr wohl war es die morgenkündende Lerche, "die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang" !
Erwachen 1992
100 x 60 x 8 cm
"Kurdistan, min Beriya Te Kiriye" - ein Bild der Liebe und der Politik. Der deutsche Titel lautet: "Kurdistan, ich habe Sehnsucht nach dir! "
Eine politische Allegorie und ein persönliches Bekenntnis : rechts unten im Bildfeld findet sich ein StacheldrahtKalendarium mit zwölf Abschnitten. Es sind die Jahre 1980-92 in Jamals Biographie. Zwölf Jahre der Trennung von seinem Land und seiner Familie. Und die gegenwärtige Unmöglichkeit, dorthin zurückzukehren.
In einem großen SpinnenNetz sind die darin gefangenen Opfer durch Eier versinnbildlicht: neugeborene Kinder, im Moment der Namensgebung. Die Eierschalen sind beschriftet, auf der einen Seite mit kurdischen Namen, die durchgestrichen sind; auf der anderen mit türkischen. Man liest also "Bawer", "$ivan", "Delal" und andere u n erlaubte Namen, ersetzt durch erlaubte.
Nichts gegen jene anderen, die türkischen oder arabischen Namen! Aber w o - g e g e n Jamal unbedingt Stellung nehmen will, ist deren zwangsweise Einführung. Und das Verbot der eigensprachigen kurdischen. Gegen die Namensveränderung und gegen die damit einhergehende Identitätsveränderung ! (Ich erinnere daran, daß er selbst ja einen oktroyierten arabischsprachigen Namen trägt.)
Und jetzt kommt überhaupt das Schärfste ! Die NamensDiskriminierung setzt sich in deutschen Standesämtern fort : kurdische Eltern (beispielsweise türkischer Staatsangehörigkeit) dürfen ihren Kindern auch in Deutschland keine kurdischen Namen geben ! Die Standesämter besitzen eine Liste der türkischen Konsulate, in der alle offiziellen türkischen Namen verzeichnet sind. Dort nicht vorkommende Namen werden auf deutschen Standesämtern nicht vergeben!
Ja, bis zum Golfkrieg hin durfte sogar die ethnische Bezeichnung "Kurden" ("Kürtler") nicht in türkischen Medien verwendet werden. Kurdisch als Amtssprache ist seit Kemal Atatürk nicht erlaubt - die Existenz die
ses Volkes in der Türkei wurde jahrzehntelang schlichtweg geleugnet. Und das, obwohl den Kurden im Vertrag von Sevres (1920) eine autonome Region in Aussicht gestellt worden war. Und obwohl im Lausanner Friedensabkommen (von 1923) im § 39 steht : "jedem türkischen Staatsangehörigen wird hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache s e in e r W a h 1 in seinen privaten und geschäftlichen Beziehungen, in Presse, Publikationen und im öffentlichen Leben keinerlei Beschränkung auferlegt. " In Kurdistan sieht die Wirklichkeit anders aus, nicht nur im türkischen Teil.
Und in Deutschland im allgemeinen zur Zeit noch auch. Allein in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und - seit einigen Monaten - Hessen werden kurdische Namen akzeptiert. (Siehe hierzu "Kurdistan heute", Heft 4 vom Frühjahr '93.)
Das entscheidende Kriterium im Theaterbau bleibt das Verhältnis von Zuschauer
Und Akteur, von Zuschauerraum und Bühne . Wie man beides einander zuordnet,
ist der Angelpunkt eines jeden Projektes. Und diese Zuordnung bildet bereits das
Korsett des Theaterbaues. Es soll in meine Entwürfe hauptsächlich um die
Beziehung zwischen Schauspieler und Zuschauer gehen. Der geistige Raum des
Theater ist immer ein Bezirk der Auseinandersetzung, des Messens von Kräften, des
Streitspiels in sublimierter Form, ein Raum mit Fronten. Ich propagiere nicht die
Trennung zwischen Zuschauer und Akteur. Der Zuschauer Und der Bühnenraum
Sollen vereint sein, ein Raum, in dem man spielt, und in dem man sich auch selbst
Zur Schau stellen kann, als Individuum, bzw. als Gesellschaft. Leider wird noch
Bis heute Das Theater als Musentempel gesehen.
Ein ruhiges Gemälde der Dualität. Zwei Systeme von Saiten, über Dosen als Resonanzkörper gespannt, erzeugen Klänge. Deren Ausbreitung geschieht einmal wellenförmig zentrifugal (rechts, vom Betrachter aus gesehen), einmal diffus (links). Hier also sehr regelmäßig geordnet, dort nach Zufälligkeiten zerstreut.
Doch die Unterschiedlichkeit der Systeme ist komplementär. Die zwei Klänge ergänzen einander. Ohne die andere Hälfte wäre die eine bloß Torso, Fragment. Wahrscheinlich hat Jamal sich von der zoroastrischen Lehre anleiten lassen, die vom Widerstreit des Guten und des Bösen spricht. Dieses dualistische Prinzip erwähnt er gesprächsweise oft. Auch ohne religiösen Hintergrund, etwa wenn er ein kurdisches Sprichwort zitiert: "Die Berge sind unsere Feinde, aber sie sind auch unsere Freunde." (Gemeint : feindlich als karges, unwirtliches Land; freundlich als Zuflucht in der Not.) Auch seine Landsleute, die noch der jesidischen Religion angehören, erkennen neben dem Regelmäßigen und Schönen das Böse und Unberechenbare als Daseinsprinzip an (weshalb Verständnislose sie als "Teufelsanbeter" mißverstehen und diffamieren).
Auch solche Darstellungen von Zwischenzuständen sind für die Kunst von Jamal typisch. Wir sehen eine Verspannung wie diejenige der längsgespannten Kettfäden auf einem Webstuhl. (Und tatsächlich stammt diese Bildidee von dem Handwebstuhl eines älteren Bruders, der aus Stoffresten Teppiche wob.) Darunter erblicken wir - nicht recht deutlich - eine ovale Abhebung, umgeben von Farbpartikeln in schwer definierbarer Form. Ein unscharfer Traum.
In diesen hinein fährt ein blankes Messer. Noch hat es die Schnüre, die das Traumbild schützen, nicht eingeschnitten. Eine gefährliche Erwartungssituation.
Der Mensch (das Ei) sieht seinen Traum bedroht. Auf dem Messerknauf ist eine dämonische Physiognomie zu erahnen. In den frühlingshaften Wiesenblütenfarben bleibt der Mensch trotz der Bedrohung optimistisch. Das ist Jamal.
Urfa ist eine Stadt im türkisch besetzten Kurdistan. Ihr ursprünglicher Name lautet Reha. Die Stadt ist umgeben von niedrigen, wildgewachsenen Buschwäldern - eine Gegend, die die türkische Regierung bewußt unterentwickelt gelassen hat.
Auch die Menschen dort sind, fern der modernen Zivilisation, einfach, naiv und scheu geblieben.
Zwei junge Mädchen aus Urfa haben von Verwandten aus Deutschland ein Kästchen mit Schminke geschickt bekommen. Die probieren
sie nun, versteckt im Gebüsch, heimlich aus.
Eine kleine, melancholische und doch ein wenig beglückende Erzählung.
Die Geschichte eines europäischen Paares. Die beiden haben sich einmal sehr geliebt und darüber ihre Umwelt vergessen. Sie sind "ausgestiegen", innerlich ausgewandert, in die Toskana oder - sagen wir - auf eine Südsee-Insel entschwunden. Dort hocken sie nun, und ihre Insel, die Trauminsel, wurde ihnen inzwischen zum Gefängnis - dargestellt durch einen Staketenzaun aus langen Nägeln.
Man müßte entfliehen können, aber wie?, über den Zaun? Einer versucht's gerade. Wenn sie keinen Ausweg finden, werden sie spurlos untergehen, rückstandsfrei verschwinden wie in einem Loch (da ist es schon!).
Mitten im blauen, blauen Meer.
Das Bild dokumentiert die Unmöglichkeit des Paradieses auf Erden. Nicht nur der alt testamentliche Schöpfungsbericht, sondern auch andere, orientalische und afrikanische Weltentstehungsmythen kleiden die Idee dieses utopischen Anderswo in das Bild eines Gartens, abgeschlossen wie eine Insel. Auffällig übrigens, daß die biblische Beschreibung des Gartens Eden (Genesis 2, besonders Vers 15) ausdrücklich die mesopotamischen Flüsse Der Wortstamm - avetisch pairi-daeza = Umwallung, eingehegter Park - bezeugt, daß die Paradieses-Idee durchaus auf eine lokalisierbare irdische Konkretion gerichtet war. Erst im Christentum (Lukas-Evangelium 23, Vers 43) wird der Aufenthaltsort der Seligen ins Jenseits verlegt. Jamal aber hatte wohl mehr an eine Insel der Liebenden wie die sagenhafte griechische Aphrodite-Kultstätte Kythera gedacht.
Wenn die Kamele einer Karawane durch die Wüste schreiten, hinterlassen sie Spuren im Sand. Besonders im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris haben viele Karawanen, viele hindurchziehende Völker, viele erobernde Heere ihre Spuren hinterlassen. Und die dort ansässigen Kurden haben alles überstanden - jahrhundertelang und mal hierhin, mal dorthin sich verbündend.
Nur im historischen Augenblick der Bildung von Nationalstaaten in der Region haben sie ihre Chance zwischen den sich formierenden Ländern nicht wahrgenommen und damit verpaßt. Die Kurden, hier dargestellt durch aufrecht stehende Eier in der Trauerfarbe Schwarz - jetzt wurden sie Opfer ihrer instabilen Situation. Zertreten von der Ferse eines Nachbarn, der vormals mit größerer Rücksicht (auf Zehenspitzen, wie man sieht!) durch das kurdische Gebiet gegangen war. - Ein kurdischer Nationalstaat wäre - unbeschadet des ganz andersartigen, fortgeschritteneren Zeitgeschehens in Europa - eben jetzt eine historisch unerläßliche politische Notwendigkeit.
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
In der Material-Collage auf der Rückwand erkennt man zunächst ein abstraktes Gesicht, zusammengesetzt aus verschiedenen Gefäßen und Speise-Utensilien. Dieses ramponierte Antlitz aus Bruch und Scherben mündet am unteren Bildrand in - absichtlich nicht deutlich erkennbar gemalte - geöffnete Schenkel einer Frau. Diese angedeutete Kombination will einen diffusen Befund des Bewußtsein illustrieren : die für sicher und verläßlich gehaltene Realität verschwimmt im Trüben, erweist sich schließlich als Illusion.
Die Gebrauchsgegenstände, die den Genuß des Lebens signalisieren, landen im Dreck : die Weinflasche, die Palette des Malers, die erotische Fotografie. Die Dinge werden verbraucht, gehen kaputt: abgerauchte Zigarettenkippen, zerbrochene Eierschalen. Übrig bleibt der Abfall, den die Assemblage am Boden versammelt.
Und die Erde nimmt am Ende all den Unrat wieder auf. Die Spuren einer vergangenen Realität taugen später allenfalls zur wehmütigen Erinnerung. War sie, die Realität, nicht bloß ein Schemen, ein dürftiges Produkt der Phantasie? Ausgedacht im schummerigen Licht der Kneipe "Knossos", die mit ihrem Namen jenen prächtigen minoischen Herrscherpalast vorspiegelt, aber auch das dortige Labyrinth?
Ein weiches, weißes Gewölbe aus Stoff - empfindlich und rein. Auf ihm bewegen sich zwei zarte, heile Eier - ebenso sensibel und verletzlich. Feindlich dreinstoßende Fremdkörper, Projektile in der Form von starken Nägeln wollen die Fläche besetzen, treffen und zerstören eines der Eier, das ihnen schutzlos ausgeliefert ist. Sie stellen für Jamal alle die Eindringlinge dar, die den persönlichen Sicherheitsbereich der anderen mißachten : die Besatzer, die Eroberer, die Ausrotter und Töter - immer Männer...
Eine allgemein menschliche Allegorie. Ob sie auch etwas mit Kurdistan zu tun hat? Die verheerend eindringenden Nägel als die vier Besatzerstaaten Kurdistans?
Eine Erinnerung an die Kindheit auf dem Lande. In der Mitte des zu bearbeitenden Feldes setzt am Morgen der Vater den kleinen Jamal ab. Und beginnt, von zwei Maultieren unterstützt, sein Tagewerk, nämlich den Boden zu pflügen. Und der kleine Jamal spielt derweil mit der Erde, besieht sie, fühlt sie, riecht sie und nimmt auch dann und wann ein wenig davon in den Mund. Und bemerkt dabei, wie um ihn herum zusehends durch die gezogenen Ackerfurchen eine neue Welt entsteht. Und mit ihm mittendrin ! Der kleine Jamal als Mittelpunkt der Welt!
Die gelbe, bräunlich-rötliche Farbe des aufgeworfenen Erdreichs changiert je nach dem einfallenden Licht. Auch die Furchen dieses Bildes muß man natürlich aus verschiedenen Blickwinkeln her ansehen. - Noch heute entstehen in Jamal beim Betrachten dieser Tafel der Geruch des frisch aufgebrochenen Erdbodens und der Duft der großen, weiten, heilen Welt der Kindheit. Und fraglos selbstverständlich die eigene kleine Person als Zentrum und Zweck und Sinn des Alls.
Ein Herz und seine zwei Seiten : die eine aufnehmend, in sich hineinsaugend; die andere abgebend, hervorspringend. Die formale Analogie mit und die gedankliche Assoziation zu Augen sind beabsichtigt : der Weg zwischen Auge und Herz ist für Jamal nicht weit.
Für Augen und Herz in gleicher Weise gibt es zweierlei Eindrücke : klar strukturierte, wie sie die strenge Fadenbespannung und die geschlossene Reihe der Eier in der einen Bildhälfte zeigen. Und unregelmäßig gebildete, wie sie die diagonalen Saiten ergeben, deren Formation durch die dazwischentretende Marschordnung der Eier erheblich beeinträchtigt wurde.
Gesicht und Gefühl sind für Jamal die zwei Hauptelemente der menschlichen Konstitution. Nicht von ohngefähr arbeitet er in einem Medium, das aufs Sehen angewiesen ist. Und nicht umsonst benutzt er sein bildnerisches Talent weniger zum mimetischen Abbilden von Wirklichkeit als vielmehr zum Visualisieren seiner Gedanken. Das ist im doppelten Sinne Imagination.
C'est vraiment lui.
Ein ähnliches Raster wie im vorigen Bild. Zwei Gruppen stehen sich diagonal gegenüber, die roten sind die heranmarschierenden Invasoren. Mitten im Haus der gegnerischen Population haben sie bereits ihren Spion plaziert.
Irgendwo auf dem weiten Meer treibt ein Floß mit einem Schatz - unter der Fadenbespannung erkennt man vage die Gestalt einer Frau; ein kastenf?rmiges Stück Schwamm enthält (vielleicht!) ein Geheimnis. Auf jeden Fall sollte man versuchen, es an Land zu ziehen. Eine kleine Träumerei.
Eine Friedenstaube : ihr Körper- und Kopfumriß ist als tauben-blaue Fläche auszumachen. Jedoch ihr gelber Schnabel ist nach innen, in den eigenen Leib hinein gerichtet. Ihm entströmt der titelgebende "rote Dunst".
Der verströmende, sich verflüchtigende rote Dunst symbolisiert, nach Jamal, zweierlei : Die Lüge des friedensbeteuernden Kommunismus. Und das Versagen der indoktrinierten europäischen Friedensbewegung. Schuld an der tödlichen Umkehr des Schnabels sind die
fünf reichsten Industrienationen, ihre blockierende Politik erscheint in Form von fünf dicken, großen Eiern. (Die anderen sind ohnehin nur noch als Fragmente, als Reste von Eierschalen existent.)
Wo bleibt die Friedensbewegung jetzt - angesichts der
Massaker in Bosnien zum Beispiel? Euphemistisch umschrieben als "ethnische Säuberung", wie sie sich wohl
auch der irakische Diktator für die Kurden vorstellen
mag. Eine sehr traurige Friedens. taube.
Ganz offensichtlich ein politisches Bild. Und doch - in seiner geschlossenen Form - ohne jegliche Aggression, eher bloß feststellend.
Den Inhalt kann jeder Betrachter selber herauslesen, die zusammengefügten Ingredienzien deuten : den mit Gewehrpatronen gespickten Thronstuhl des Diktators; dessen Umkippen wäre für ihn tödlich; doch die untergelegten Eier - Jamal nennt sie "die Heuchler" - wirken als Stützen des mörderischen Systems. Der Nein-Sager wird gehenkt; die Augen der Öffentlichkeit schauen zu : groß, neugierig, aber letztlich indifferent.
Machtbegierde, Positionsverteidigung, heuchlerische Dienstwilligkeit, Widerstandleisten und Zuschauen ohne eigenes Engagement - all dies sind menschliche Verhaltensweisen, daher hat Jamal sie mit
der Kontur eines Eies umrandet.
randet.
Das Bild konstatiert den Terror der Macht. Aus eigener, leidvoller Erfahrung verwendet Jamal die kurdischen Farben rot/weiß/grün.
Ein sehr friedvolles und poetisches Bild. Jamal hatte sich dabei mehrere passende Szenen gedacht : wenn zwei kleine Kinder schlafen und dann das eine erwacht und das andere noch nicht. Oder wenn Blumen im Garten stehen und die eine aufblüht, aber die zweite noch als Knospe verharrt. Situationen der Latenz.
Das zarte Aufbrechen aus diesem Zustand hat Jamal mit den für sein (Euvre typischen Bildgegenständen dargestellt: eines der beiden Eier hat die flächige, aber durchlässige Bespannung schon durchstoßen. Das zweite bleibt noch unter ihr verborgen, dem - in sinnfälliger Weise aus Eierschalenmaterial geschichteten - Urgrund näher.
Der Untertitel nimmt eine lyrische Passage aus Shakespeares "Romeo und Julia" auf, kehrt aber Julias (Selbst-) Täuschung um. Sehr wohl war es die morgenkündende Lerche, "die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang" !
Erwachen 1992
100 x 60 x 8 cm
"Kurdistan, min Beriya Te Kiriye" - ein Bild der Liebe und der Politik. Der deutsche Titel lautet: "Kurdistan, ich habe Sehnsucht nach dir! "
Eine politische Allegorie und ein persönliches Bekenntnis : rechts unten im Bildfeld findet sich ein StacheldrahtKalendarium mit zwölf Abschnitten. Es sind die Jahre 1980-92 in Jamals Biographie. Zwölf Jahre der Trennung von seinem Land und seiner Familie. Und die gegenwärtige Unmöglichkeit, dorthin zurückzukehren.
In einem großen SpinnenNetz sind die darin gefangenen Opfer durch Eier versinnbildlicht: neugeborene Kinder, im Moment der Namensgebung. Die Eierschalen sind beschriftet, auf der einen Seite mit kurdischen Namen, die durchgestrichen sind; auf der anderen mit türkischen. Man liest also "Bawer", "$ivan", "Delal" und andere u n erlaubte Namen, ersetzt durch erlaubte.
Nichts gegen jene anderen, die türkischen oder arabischen Namen! Aber w o - g e g e n Jamal unbedingt Stellung nehmen will, ist deren zwangsweise Einführung. Und das Verbot der eigensprachigen kurdischen. Gegen die Namensveränderung und gegen die damit einhergehende Identitätsveränderung ! (Ich erinnere daran, daß er selbst ja einen oktroyierten arabischsprachigen Namen trägt.)
Und jetzt kommt überhaupt das Schärfste ! Die NamensDiskriminierung setzt sich in deutschen Standesämtern fort : kurdische Eltern (beispielsweise türkischer Staatsangehörigkeit) dürfen ihren Kindern auch in Deutschland keine kurdischen Namen geben ! Die Standesämter besitzen eine Liste der türkischen Konsulate, in der alle offiziellen türkischen Namen verzeichnet sind. Dort nicht vorkommende Namen werden auf deutschen Standesämtern nicht vergeben!
Ja, bis zum Golfkrieg hin durfte sogar die ethnische Bezeichnung "Kurden" ("Kürtler") nicht in türkischen Medien verwendet werden. Kurdisch als Amtssprache ist seit Kemal Atatürk nicht erlaubt - die Existenz die
ses Volkes in der Türkei wurde jahrzehntelang schlichtweg geleugnet. Und das, obwohl den Kurden im Vertrag von Sevres (1920) eine autonome Region in Aussicht gestellt worden war. Und obwohl im Lausanner Friedensabkommen (von 1923) im § 39 steht : "jedem türkischen Staatsangehörigen wird hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache s e in e r W a h 1 in seinen privaten und geschäftlichen Beziehungen, in Presse, Publikationen und im öffentlichen Leben keinerlei Beschränkung auferlegt. " In Kurdistan sieht die Wirklichkeit anders aus, nicht nur im türkischen Teil.
Und in Deutschland im allgemeinen zur Zeit noch auch. Allein in den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und - seit einigen Monaten - Hessen werden kurdische Namen akzeptiert. (Siehe hierzu "Kurdistan heute", Heft 4 vom Frühjahr '93.)
Das entscheidende Kriterium im Theaterbau bleibt das Verhältnis von Zuschauer
Und Akteur, von Zuschauerraum und Bühne . Wie man beides einander zuordnet,
ist der Angelpunkt eines jeden Projektes. Und diese Zuordnung bildet bereits das
Korsett des Theaterbaues. Es soll in meine Entwürfe hauptsächlich um die
Beziehung zwischen Schauspieler und Zuschauer gehen. Der geistige Raum des
Theater ist immer ein Bezirk der Auseinandersetzung, des Messens von Kräften, des
Streitspiels in sublimierter Form, ein Raum mit Fronten. Ich propagiere nicht die
Trennung zwischen Zuschauer und Akteur. Der Zuschauer Und der Bühnenraum
Sollen vereint sein, ein Raum, in dem man spielt, und in dem man sich auch selbst
Zur Schau stellen kann, als Individuum, bzw. als Gesellschaft. Leider wird noch
Bis heute Das Theater als Musentempel gesehen.
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